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Moor

Moor

Titel: Moor
Autoren: Gunther Geltinger
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Regenwand, das Moor, wie du es kennst.
    Du löst die Augen vom Horizont. Stehst auf, schulterst den Rucksack, drehst dich um.
    Halt, Dion, hast du nicht noch etwas vergessen?
    Du zögerst, doch nichts und niemand mehr gibt dir ein Zeichen. Schließlich kramst du die Zigarettenschachtel aus der Jackentasche. Zwischen den Filterenden steckt das Feuerzeug. Das hat dich starr gemacht vor Angst: Alles Mögliche vergisst sie in ihrem Brass; den Haustürschlüssel, das Portemonnaie, die Post an das Amt, die du erledigt hast, selbst dich hat sie einen ganzen Winter lang liegenlassen. Doch wenn sie nicht einmal mehr an ihre Kippen denkt, muss ihr Zustand wirklich lebensbedrohlich sein.
    Du schnupperst am Tabak, steckst dir den Filter zwischen die Lippen. Lässt das Flämmchen aus dem Feuerzeug springen. Unter deinen Schuhen knistert das todessüchtige Gras. Du paffst deine erste Zigarette nach ihrem Vorbild: zwei Finger gespreizt, ein kurzer Blick auf die Spitze, dann der energische Zug. Der Rauch beißt in der Kehle, schnürt dir die Luft ab, Tränen schießen dir in die Augen. Was sie nur daran gefunden hat, denkst du und spuckst mehrmals aus. Als Erwachsener würdest du einmal alle Raucher verabscheuen, jetzt aber schmeckt die Zigarette schon beim zweiten Inhalieren nach ihr; ihrem Mund, dem Gutenachtkuss, wie Kindheit.
    Nach der dritten Rauchwolke krampfen die Lungen nicht mehr, der Hustenreiz ist überwunden, dein Kopf fühlt sich weit und groß an, der Körper wie trunken, deine Schritte federn auf dem Grund; noch nie war der Schwingrasen unter deinen Füßen so schwankend wie bei deinem letzten Gangzurück ins Dorf. Hinter dir, wo du die Kippe ins Gras geschnickt hast, schmiegt sich ein Halm an die Glut.
    ◆◆
    Was dir vom Frühling bleibt? Ein Himmel, der nach Sonnenuntergang noch lange nachglomm, orange und flammengelb am Horizont, übergehend in die perlmutterne Leere des Zenits und sich langsam selbst ertränkend im tintigen Nachtblau des Ostens, von wo aus er plötzlich erlosch und sich acht Stunden später erneut entzündete.
    Halbgrüne Wände im Haus, dazwischen offene Farbeimer, wo sich Haut bildete, verkrustete Pinsel darin, die niemand wegräumen wollte.
    Der Wahnsinn der Striche auf Margas Bild; ein Rot, das dich zu bedrängen begann, aggressiver wurde mit jedem Tag, seitdem du wusstest, dass es wieder so weit war; sie hatte abermals als Mutter versagt.
    Daniels Gesicht, in dem du plötzlich nichts Väterliches mehr entdecken konntest, das nun tatsächlich eine Fresse war, hart und im immergleichen Ausdruck der Kränkung wie in Holz geschnitzt.
    Ihr Mund, der jetzt wieder öfters an dir nagte. Je seltener er sich Daniel zuwandte, desto ungestümer schmiegte er sich an deine Lippen, meist dann, wenn die anderen sie abgewiesen hatten. Er riss auf, verzerrte sich zum Maul, spuckte Gemeinheiten oder grollendes Gelächter, wenn Daniel darauf bestand, eine Lösung zu finden, und Marga, plötzlich fast lippenlos, erwiderte: Wenn du eine Lösung suchst, was ist dann das Problem?
    Ihr Gutenachtkuss, der jetzt nicht mehr knapp und spitz, sondern lang und suchend war, mit angehaltenem Atem und dieser tastenden Zunge. In den Nächten, wenn Danielin Hamburg blieb, kroch sie unter deine Decke, zog deine Hand unterm Rücken hervor und legte sie auf ihren Bauch. Dass du zu ihr halten müsstest, dass sie nun auf dich zähle, er gönne dir keinen Bruder, dann würde es eben nicht sein Kind werden, und sie streichelte deinen Unterarm und starrte ins Dunkle.
    Ihr Leib unter deiner Hand war wieder eingefallen, seitdem sie kaum mehr etwas aß, nur hastig an der Zigarette zog, mit der Gabel die Brocken auf dem Teller hin- und herschob und große Schlucke aus der Weinflasche trank, die Daniel ihr einmal aus der Hand gerissen hatte. So kriegst du dich auch kaputt, rief er und kippte den Rest in den Ausguss. Und dieses Mal kostet es dich nichts, erwiderte sie, stand auf, ging zum Schrank und knallte die nächste Flasche auf den Tisch, die niemand öffnete.
    Jungennamen, die sie dir ins Ohr flüsterte: Demian, Robert, Victor, nein, einen Victor wolle sie nicht, keinen Siegertypen, lieber einen sanften Träumer wie dich. Sie wühlte dir im Haar, was du jetzt ertrugst, auch deine Hand zogst du zuletzt nicht mehr zwischen ihren Schenkeln heraus, der feuchten Klammer. Sie sagte lang nichts und irgendwann: Leon, was du schon im Schlaf zu hören glaubtest, Dion und Leon, hallte es durch deinen Traum, zwei-, dreimal hintereinander erst
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