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Todesmuster

Todesmuster

Titel: Todesmuster
Autoren: Norbert Horst
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MONTAG
    11 Uhr 15
    »… warum …«
    Die Kirchentür schmettert schwer ins Schloss, es hallt. Verdammt, aufpassen. Der Pfarrer stockt, sieht hoch. Die in den hinteren Bänken drehen sich um, ein Alter im schwarzen Anzug schüttelt den Kopf. Die letzten Reihen sind frei, schnell rein und setzen.
    »… ist er gegangen, liebe Frau Peters, lieber Jan, liebe Sina, liebe Gemeinde? Von uns gegangen, plötzlich, ohne Vorankündigung, mitten aus dem Leben, wie man so sagt. Wir stehen hier vor seinem Sarg, dem Sarg des Mannes, der uns ein Ehemann war, ein Vater, ein Sohn, ein Kollege, der er uns so vieles war, was uns wertvoll …«
    Ganz schön viele Leute hier. Aber kein Wunder. Roberts Sarg vor dem Altar, rundherum wie im Gartencenter. Die Tür öffnet sich leise, der Küster schlurft vorsichtig, das Futter der rechten Jackentasche hängt heraus, glänzt. Mein Gott, ist ja das halbe Präsidium vertreten, sogar der Präsident persönlich. Wäre Robert wahrscheinlich gar nicht so angenehm. Wo sind denn unsere Leute? Da vorne, das könnte Helmut sein. Und das sieht aus wie Ullas Kopf. Was hat die denn wieder für Haare? Der Küster kommt zurück, gebückte Haltung.
    Der Pastor hört auf zu reden. Orgel. Schöne Melodie. Sie singen zurückhaltend, einige kräftige Stimmen dazwischen.
    »Ach bleib mit deinem Glanze bei uns, du wertes Licht; dein’ Wahrheit uns umschanze, damit wir irren nicht.« Drei Strophen. Bei den letzten Takten geht der Pastor wieder hinter den Altar, versinkt im Gebet. Alle stehen auf. Stille.
    »Herr, himmlischer Vater. Du Schöpfer aller Dinge und Gebieter über Leben und Tod, wir bitten dich: Sei in dieser schweren Stunde bei uns. Schenke uns Trost, wenn wir ihn bei dir suchen, zeige uns den Weg aus der Verzweiflung, wenn wir dich darum bitten, und, Vater, gib uns Antworten, wo wir Fragen haben. Wenn nicht jetzt, dann vielleicht irgendeines Tages, wenn nicht heute, dann zu irgendeiner Zeit, denn neben aller Klarheit, mit der wir in unserer letzten Stunde vor dir, Vater, stehen, so bleiben wir, wenn wir gehen, einigen – vielleicht auch ganz Nahestehenden – ein Rätsel. Denn auf den Grund unserer Seele siehst nur du, Gott. Auch auf den Grund der Seele von Robert Peters. Nimm sie zu dir. Amen.«
    Noch mal Amen im Chor. Was redet der für ein Zeug? Die Orgel setzt wieder ein. Keiner singt. Das kenne ich doch. A whiter shade of pale. Mann, das ist tatsächlich A whiter shade of pale. Donnerwetter, Pop in der Kirche. Hätte es bei uns früher nicht gegeben. Hat sich wahrscheinlich Monika gewünscht. Unser Lied oder so. Eine Frau mit lila Fransenschal zwei Reihen voraus heult wie ein Schlosshund.
    »Lasst ihn uns nun auf seinem letzten Weg begleiten.«
    Vorne räumen sie die Kränze weg, der Küster öffnet beide Flügel der Eingangstür. Sie tragen den Sarg durch den Mittelgang, weiße Handschuhe, Gleichschritt. Der Pastor, Monika mit den Kindern dahinter. Eine Rosenblüte fällt ab, rollt unter eine der Bänke. Hinter den vieren ist eine Lücke, schnell durch und raus. Die Sonne blendet.
    Auf dem Kies vor der Kapelle der Leichenwagen. Opel Admiral. Ganz schön altes Schätzchen, lange nicht gesehen. Sie setzen den Sarg mit der Kante auf die Rollschiene. Beim Reinschieben hakt es, ein Ruck, Klappe zu. Sie setzen die Zylinder ab, der Fahrer steigt ein. Sattes Blubbern des Achtzylinders. Langsam, ganz langsam fährt er die Allee hoch bis zum Tor. Einige winken, eine Frau sogar mit Taschentuch. Furchtbar, warum fährt der so langsam. Blinker. Fast alle bleiben stehen, unbeweglich. Weg.
    Monika dreht sich als Erste um, die Arme um die Schultern der Kinder gelegt. Sie sieht auf, nickt stumm. Bloß kein »herzliches Beileid«. Komm, sag was Passendes, du kannst das.
    »Tag Monika«.
    »Tag Konni.«
    »Kein guter Tag heute, hmm? Ich habe erst heute Nacht davon erfahren. Tut mir sehr Leid für euch. Wie ich ihn kannte, wart ihr der Mittelpunkt seines Lebens. Wahrscheinlich wart ihr auch sein letzter Gedanke.« Nicht schlecht.
    Ihre Kaumuskeln arbeiten, sie geht ohne Gruß. Meine Güte, ist die fertig. Kein Wunder. Von hinten eine Hand auf der Schulter. Helmut.
    »Na, du Weltreisender.«
    »Tag, Helmut.«
    »Wann bist du zurückgekommen?«
    »Heute Nacht, halb drei.«
    »Und da bist du jetzt schon hier?«
    »Ich habe die Post nur durchgesehen, den Totenbrief habe ich natürlich geöffnet.«
    »Na, du Urlauber. Hätte dich fast nicht wiedererkannt nach so langer Zeit«, Ulla, feste Umarmung, sie riecht angenehm
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