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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß
Autoren: S Park
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»Du hast mich reingelegt.« Sie liegt auf einer Seidenmatte auf dem goldfarbenen Boden neben ihrem Ehemann. Im Dunkeln schweben die Worte über ihr, ganz harmlos, sie haben nicht denselben Biss wie tagsüber, sondern hängen dort wie abgesplitterte Fragmente eines Kometen, verweilen noch kurz, bevor sie sich zur Ruhe legen.
    Wo ich doch bei meinem Vater und meinen Brüdern sein und auf meine Zukunft warten könnte.
    Sie sehnt sich nach Nähe. Nach einem Mann, der sie einfach so auf die Wange küsst, wenn sie vorbeigeht, einem Mann, dessen Arm – warm und fest – immer neben ihrem eigenen liegt, dessen Hand sich zärtlich an ihren Rücken schmiegt. Sie hofft auf Haut, die über Haut streicht, auf Silhouetten, die miteinander verschmelzen, auf Hände und Arme, die sich täglich auf liebevolle Art berühren. So hat sie sich das Eheleben immer vorgestellt: Körper, die nicht mehr getrennt, sondern einander nah sind, sich berühren.
    Stattdessen bewegt sich ihr Ehemann in ihrer Nähe wie ein Kind, das Angst vor seiner Mutter hat, vermeidet ihre persönliche Sphäre, hält sich fern. Er berührt sie nie. Sie spürt seine Abwesenheit, wird von ihr regelrecht zu Boden gedrückt, empfindet nur noch Kälte, kann sich nicht einmal mehr erinnern, wie Wärme sich anfühlt. Er liegt neben ihr, bewegungslos, und tut so, als schliefe er. Er ist absolut still. Hält er den Atem an?
    Du hast mich reingelegt, du hast mich reingelegt.
    Alles, was sie hört, ist die Luft, die in seine Nasenlöcher hinein und wieder hinaus strömt. Sein Gesicht ist angespannt, wie eine geballte Faust. Er erzählt ihr nie viel. Sie fragt sich, wohin all die Worte und Gedanken verschwinden, die er tagsüber in sich aufnimmt. Vielleicht, so denkt sie, sollte sie nachts ebenfalls ein wenig wach liegen und sich Nadeln in verschiedene Stellen ihres Körpers stecken. Und wenn sie morgens aufwachte, wäre sie wieder mit dem stillen, distanzierten Mann zusammen, der ihr wunderschöne Briefe schreibt, aber nie ein direktes Wort zu ihr sagt; mit dem Mann, der Angst hat, sie könnte ihn verletzen. Eine Sache wundert sie aber doch: Er streitet nicht ab, dass er sie reingelegt hat.

TEIL EINS
    Chrysantheme
    Daegu, Südkorea
    1960

1
    Soo-Ja hatte den Fremden bemerkt. Er war ihr schon seit vier Blocks auf den Fersen. Sie ging in normalem Tempo weiter – in solchen Situationen hatte sie nämlich niemals Angst. Vielmehr betrachtete sie sie als eine Art Herausforderung, so als hätte man ihr ein Rätsel oder eine Aufgabe gestellt. Sie wollte ihn abschütteln, aber auf möglichst elegante Weise, wie ein Entfesselungskünstler, der sich aus einer Zwangsjacke befreit. Ihre Freundin Jae-Hwa, die neben ihr hertrottete und ihren selbstgestrickten Schal im sibirischen Wind flattern ließ, hatte den Mann nicht bemerkt. Unverdrossen schnatterte sie weiter über den Hauptdarsteller des Films, den sie gerade gesehen hatten.
    War der Mann ein Agent aus dem Norden? Der Krieg war erst vor sieben Jahren zu Ende gegangen, es konnte also durchaus sein. Es war auch nicht gerade beruhigend, dass die gegnerische Seite bloß ein paar Hundert Meilen entfernt lauerte, nur getrennt durch eine gedachte Linie, einen Kreidestrich auf einer Landkarte. Soo-Ja malte sich aus, dass der Mann sie für die Geliebte eines hohen Funktionärs hielt und sie dazu bringen wollte, Staatsgeheimnisse über den achtunddreißigsten Breitengrad zu schmuggeln. Ob er wohl enttäuscht wäre, wenn er herausfand, dass sie nur eine einfache Studentin war? Die Tochter eines Fabrikbesitzers, geboren im Jahr des Tigers?
    Sie nahm ihr Puderdöschen aus der Handtasche und warf einen Blick in den Spiegel an der Innenseite des Deckels. Da war der Mann, in weißer Jacke und weißer Hose, also in westlicher Kleidung. Ganz passend, fand sie. Sie konnte sich ihn nicht im Hanbok vorstellen, auch nicht in irgendetwas anderem, das ihre Eltern oder Großeltern trugen. Dieser junge Mann sah aus wie eine neue Spezies, ein neuer Menschenschlag, von seinem selbstzufriedenen Lächeln bis hin zu seinem etwas längeren Haar. Gemächlich trottete er hinter ihr her, die Hände in den Taschen vergraben, wie ein Leibwächter, der sie vor Männern wie ihm selbst schützen sollte.
    »Wir werden verfolgt«, sagte Soo-Ja schließlich zu Jae-Hwa. Sie hatte noch keinen Plan parat, um ihn auszutricksen. Einfach nur abschütteln wollte sie ihn nicht; es musste vielmehr zu einer Art Szene kommen, um die Geschichte abzurunden. Außerdem musste er bestraft
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