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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß
Autoren: S Park
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über dem Körper.
    Nachdem sie sich mühsam durch die vielen Knoten und Schichten des Hanbok gearbeitet hatte, machte sie sich auf den Weg zum Haupthaus. Als sie dort ankam, hatte die Zeremonie bereits begonnen. Die Männer hatten sich um einen großen Holzaltar versammelt, auf dem Teller mit Speisen aufgestellt waren – Opfergaben für die Verstorbenen. Links und rechts der Teller standen zwei hohe Kerzen, und hinter dem Altar befand sich ein großer Wandschirm, der aus fünf Faltwänden bestand. Er bedeckte die ganze Wand und war mit Hanja , chinesischen Sinnbildern, verziert. Auf einem kleinen Tisch unter dem Altar brannten Räucherstäbchen.
    Soo-Ja gesellte sich zu ihrer Mutter und den anderen Frauen, die sich am Rand des Zimmers niedergelassen hatten, während die Männer die Zeremonie durchführten. Sie sah zu, wie ihr Vater langsam ein Glas mit Wein füllte und es auf den Altar stellte. Soo-Ja betrachtete das Gesicht ihres Vaters, sein weiches, baumwollweißes Haar und die tiefen Falten an den Seiten seiner Wangen. Er hatte Bartstoppeln auf dem Kinn und Tränensäcke unter den Augen. Da begriff sie, dass er – ihretwegen – ebenfalls nicht gut geschlafen hatte.
    »Soo-Ja«, flüsterte ihre Mutter, als die Gesänge der Männer anschwollen und ihre Stimme übertönten. »Gut, dass wir heute Seollal haben. Das wird dich an die drei konfuzianischen Gehorsamsregeln erinnern, an die ei ne Frau sich halte n muss.«
    »Mach dir keine Sorgen, Mutter. Die sind mir eingebläut worden, seit ich auf der Welt bin. Gehorsam gegenüber dem Vater, dem Ehemann und dem Sohn.«
    Aber Konfuzius hatte unrecht , dachte Soo-Ja.
    Die Mutter schaute zu, wie die Männer sich verbeugten, indem sie erst mit den Knien, dann mit den Händen den Boden berührten und schließlich den Kopf auf die Hände legten, alles in einer einzigen flüssigen Bewegung. Sie falteten sich zusammen wie menschliche Papierpuppen, verwandelten sich von Erwachsenen in Kinder und dann in Säuglinge, um daraufhin wieder den umgekehrten Weg zu gehen. Soo-Jas Mutter verengte die Augen zu Schlitzen und sprach leise weiter.
    »Glaub bloß nicht, du könntest mich für dumm verkaufen. Ich weiß doch, wie gerne du weg willst. Du warst eben schon immer eine kleine Rebellin. Wenn du dir erst mal etwas in den Kopf gesetzt hast, strebst du danach wie ein Pfeil, der seinem Ziel entgegenschnellt.«
    »Wenn Vater mich wirklich lieben würde, ließe er mich gehen.«
    »Du weißt offensichtlich überhaupt nichts über die Liebe. Und ich wusste ja gar nicht, wie schrecklich dein Leben hier doch ist. Die meisten Mädchen in deinem Alter plagen sich auf den Reisfeldern ab, und du sitzt gemütlich zu Hause und liest Gedichte.«
    Soo-Ja sah ihre Mutter an. Sie wollte ihr gerne sagen: Mutter, du redest, als hättest du nie das Gefühl gekannt, etwas unbedingt zu wollen . Doch sie biss sich auf die Unterlippe. Stattdessen beobachtete sie, wie die Männer – die Söhne – sich vor den Ahnen verbeugten und für sie sangen, während die Frauen sich im Hintergrund hielten. Sie waren alle in einen einzigen Raum gestopft, und Soo-Ja musste sich sehr beherrschen, um nicht einfach davonzulaufen.
    »Ich dachte, Eltern wollen immer das, was für ihre Kinder am besten ist.«
    »Das ist ein Märchen. Wir wollen immer das, was für uns am besten ist.«
    »Ich weiß, ihr wünscht euch, dass ich heirate. Aber ich würde lieber auf die Diplomatenschule gehen.«
    »Die beiden Dinge schließen sich ja gegenseitig nicht aus«, erklärte die Mutter und schaute ihre Tochter an wie eine ebenbürtige Frau, nicht wie ein Kind. »Wenn du einen Mann findest, der anders ist als dein Vater, einen schwachen Mann, der dich deine eigenen Entscheidungen treffen lässt … Aber du musst ihn natürlich in dem Glauben lassen, dass er die Hosen anhat. Du willst unbedingt nach Seoul. Und ich will unbedingt, dass du heiratest. Vielleicht können wir einen Kompromiss schließen.«
    »Ich dachte, du wolltest nicht, dass ich nach Seoul gehe.«
    »Ich will nicht, dass du als alleinstehende Frau dorthin gehst. Das ist ein Unterschied.«
    Soo-Ja dachte über die Worte ihrer Mutter nach und begriff, dass sie anscheinend doch nicht so allein war, wie sie geglaubt hatte.
    Einen schwachen Mann. Der dich deine eigenen Entscheidungen treffen lässt.
    Im Bruchteil einer Sekunde erkannte Soo-Ja: Sie würde ihren zukünftigen Ehemann hereinlegen müssen.

2
    » Hana, dul, set! Eins, zwei, drei! Eins, zwei, drei!«, bellte der
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