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Die träumende Welt 01 - Der Traumstein

Die träumende Welt 01 - Der Traumstein

Titel: Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
Autoren: Jonathan Wylie
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1. KAPITEL
    Sie ging weiter, obwohl die Bewegung längst keine Bedeutung mehr hatte. Die Landschaft ringsum erstreckte sich bis zum Horizont - flach, unveränderlich. Nichts rührte sich, bis auf den Wind. Selbst ihr Vorankommen schien Einbildung zu sein.
    Drei Tage zuvor war ihr das Wasser ausgegangen. Die noch übrigen Trockenfleischstreifen und das Hartbrot in ihrem Beutel waren mittlerweile bedeutungslos und hinderlich. Sie konnte nicht mehr schlucken.
    Am Tag gleißte die Sonne von einem erbarmungslosen blau-weißen Himmel herab und verwandelte die Ebene in einen riesigen Glutofen. Nachts wurde die kristallklare Luft kalt wie Sternenlicht, und die kostbare Flüssigkeit, die sie am Tage ausgeschwitzt hatte, gefror auf ihren rastlosen Gliedern zu Reif. Bis die Sonne wieder aufging und sich der Kreislauf wiederholte.
    Die Landschaft bot ihr keinen Anlass zur Hoffnung. Das Erdreich bestand aus einer Mischung aus kahlem, zerborstenem Gestein und Sand. Niedriges, braunes Gestrüpp, das in jedem Spalt wuchs, bildete die einzige Vegetation. Es besaß weder Früchte noch Blätter, doch die verschlungenen, unzerbrechlichen Äste waren mit nadelspitzen Dornen übersät. Die Sträucher boten keinen Schutz oder Nahrung, und jeder Versuch, sie zu nutzen, endete mit Schmerzen und Enttäuschung. Sie passten perfekt in die Landschaft.
    Einmal - wie viele Tage war das jetzt her? - hatte sie in der Ferne eine breite Nebelbank gesehen, die rasch ihren Weg zu kreuzen schien, hatte aber bald gemerkt, dass es eine Täuschung war, eine Fata Morgana. Sie hatte nicht einmal den Versuch unternommen, ihr zu folgen, sondern sich weitergeschleppt, denn die einzige Alternative war, sich hinzulegen und zu sterben.
    Der aufrechte Stein hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, weil er einen krassen Bruch in der Eintönigkeit aus Felsen und Dornen darstellte. Er zog sie an wie ein Magnet.
    Als Grabstein so gut geeignet wie jeder andere auch.
    An dem Markierungspunkt ließ sich ihr Vorankommen messen, und sie erkannte, wie langsam sie sich bewegte. Mittlerweile stolperte sie nur noch und näherte sich ihm nur ganz allmählich. Der graue Monolith schien sie mit seiner unerschütterlichen Unnahbarkeit verhöhnen zu wollen, und sie begann sich zu fragen, ob er vielleicht auch nur eine Fata Morgana und für sie auf immer unerreichbar war.
    Bei Einbruch der Dunkelheit hatte sie ihr Ziel noch immer nicht erreicht und verbrachte die Nacht zusammengerollt und zitternd in einer Sandmulde.
    Im Zwielicht vor Einbruch der Dämmerung stand sie auf und machte sich auf den Weg, gegen jede Vernunft entschlossen, den Stein an diesem Tag zu erreichen.
    Erst aus der Nähe wurde die Größe des Steines deutlich. Er war etwa fünfmal so hoch wie ein großer Mann, maß jedoch nur zwei Schritte im Durchmesser und zeigte in den Himmel wie der Finger eines Riesen. Die graue Oberfläche war unregelmäßig und wies keine Spuren der Bearbeitung auf - trotzdem, natürliche Kräfte allein konnten ihn nicht hier hingestellt haben. Er machte keinen Sinn. Selbst seine Farbe wirkte fremd in dieser Welt aus Gelb und Braun.
    Ein Rätsel.
    Sie erreichte den Stein gegen Mittag, als er überhaupt keinen Schatten warf, und stellte fest, dass sein unteres Ende in einer Vertiefung steckte. Ohne Hoffnung warf sie einen Blick hinein; die Mulde war trocken, was auch sonst. Sie streckte die Hand aus, berührte die Oberfläche des Steins und stolperte. Reaktionsschnell krümmte sie den Rücken und ruderte mit den Armen, um zu verhindern, dass sie in den immer größer werdenden Spalt zu ihren Füßen stürzte. Als sie wieder sicher stand, bestätigte ihr ein Blick, was ihr verlorenes Gleichgewicht hatte vermuten lassen. Der Monolith hatte sich trotz seiner enormen Größe bei der leisesten Berührung durch ihre Hand geneigt. Der massige, hochaufragende Rumpf ruhte jetzt in einem deutlich anderen Winkel in seiner Verankerung, wenn er auch immer noch in den Himmel zeigte. Er schien sich wieder stabilisiert zu haben, doch seine Besucherin bekam es plötzlich mit der Angst.
    Als der Stein sich von ihr fortgeneigt hatte, war sie zu überrascht gewesen, um etwas Außergewöhnliches zu bemerken, doch jetzt erinnerte sie sich an ein lautes Klicken und ein Beben unter ihren Füßen, als hätte sie durch ihr Tun eine unterirdische Kette von Ereignissen ausgelöst.
    Ein schaukelnder Stein?
    Sie war ebenso neugierig wie ängstlich und wunderte sich, dass eine derart große Masse so empfindlich ausbalanciert sein
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