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1468 - Tanz im Totenreich

1468 - Tanz im Totenreich

Titel: 1468 - Tanz im Totenreich
Autoren: Jason Dark
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Marietta tanzte weiter. Sie trug ein wunderschönes weißes Kleid mit ausgestelltem Rock. Sie hatte Platz genug, sich bewegen zu können, denn es war nichts da, was ihre Schritte und Bewegungen eingeengt hätte.
    Und dann die Luft. Sie zu erleben war einmalig. Der Geruch der Blüten, der Duft der Gräser – für sie war es ein besonderer Duft, der da mitschwang.
    Man musste es einfach genießen, sich diesem Traum hingeben zu können, egal, ob man tot oder lebendig war.
    Ich fühle mich nicht tot!, jubelte es in Mariettas Innerem. Ich bin so springlebendig. Ich bin einfach da. Ich fühle mich wie ein Geschenk des Himmels. Ja, der Himmel, der mich unter seine Fittiche genommen hat. Das Paradies, dessen Tür für die Gerechten weit offen steht.
    Ich bin dort. Ich bin angekommen. Ich wiege mich im Rhythmus der Musik, die mir so viel gibt. Dabei weiß ich nicht mal, woher sie kommt. Sie ist einfach da, und ich fühle mich von ihr wie weggetragen und sehr beschwingt.
    Leichtfüßig lief Marietta weiter. Immer tiefer hinein in dieses Paradies, dessen Grenzen sie nicht kannte und auch nicht kennen wollte.
    Ihrer Meinung nach sollte es überall so sein. Wo sie sich auch aufhielt, sie wollte immer davon umgeben sein.
    Und so tanzte sie weiterhin hinein in diese mit bunten Streublumen bedeckte Wiese. Butterblumen, Gänseblümchen, wilde Rosen, Löwenmäuler und blühender Klee, diese Mischung von Wohlgerüchen, in denen sie sich badete, was sie einfach als wunderbar empfand. Es war herrlich, darin zu »schwimmen« und sich dem Geruch hinzugeben, der sie auch weiterhin umschmeichelte. Sie sah keinen Anfang und auch kein Ende.
    Irgendwo befanden sich die gefiederte Freunde. Marietta sah sie nicht, aber sie hörte sie. Wahrscheinlich hielten sie sich in den wenigen Bäumen versteckt, die auf der Sommerwiese wuchsen. Sie waren mit Obst dicht behängt. Das Rot der Kirschen hob sich deutlich vom Grün der Blätter ab.
    Und dabei bin ich tot!
    Immer wieder kam ihr dieser Gedanke. Er war da, es war eine Tatsache, die sie akzeptieren musste. Hineinfliegen in diese andere Welt, um dort das große Wunder zu erleben. Es war so herrlich.
    Marietta lief und tanzte. Keine ihrer Bewegungen war abgehackt, die eine ging in die andere über. Einige Schritte laufen, sich dann drehen, wieder laufen und keinen Schwindel zu spüren, sondern sich von einem Gefühl der Glückseligkeit durchströmen zu lassen, denn dieses sorgte dafür, dass sie über dem Boden schwebte.
    Sie wurde von ihrer eigenen Euphorie getragen, sie spürte keinerlei Schwäche. Es war alles so wunderbar. Wie auf Schienen glitt sie dahin. Über ihr öffnete sich etwas, unter ihr floss die Wiese mit den Blumen hinweg.
    Was wollte sie mehr?
    Und dann gab es noch diese Musik. Sie kam aus dem Hintergrund, war aber deutlich zu hören. Marietta genoss sie, denn die Musik trieb sie weiter.
    Sie summte die Melodien mit. Sie tanzte in deren Takt, sie drehte sich, sie huschte durch die Blumen, die sich vor ihr zu verneigen schienen, und abermals kam ihr der Gedanke, dass der Tod etwas Wunderbares war.
    Er hatte sie in eine Welt des Glücks versetzt und hinein in ein Gefühl, das sie als Mensch nie erlebt hatte.
    So leicht, so schwerelos, einfach einmalig. Hier erfüllten sich die Wunder, von denen die Menschen sonst nur träumten. Eine Welt, die ohne Ende und ohne Anfang war. Sie war einfach da für die Verstorbenen, damit sie glücklich wurden.
    Auf einmal sangen die Vögel nicht mehr.
    Plötzlich verdunkelte sich der Himmel.
    Etwas fraß das Licht auf.
    Die Blumen der Wiese sahen immer trauriger aus. Sie ließen die Köpfe hängen, und man konnte zuschauen, wie sie verwelkten.
    Marietta tanzte nicht mehr.
    Sie war irritiert. Ohne Übergang hatte sie die Veränderung erlebt.
    Durch nichts war sie zuvor angekündigt worden, und sie merkte, dass sie ihren Lauf veränderte. Sie bewegte die Beine nicht mehr so leicht, sie lief jetzt langsamer. Das war wie ein Motor, der ins Stottern geraten war, immer weniger Saft bekam und sich schließlich gänzlich abschaltete.
    Ein kalter Windstoß erfasste sie und ließ ihr Kleid flattern. Auch die langen braunen Haare wurden durch den Wind angehoben und durcheinander geweht. Das Gesicht der jungen Frau verlor das Lächeln. Es gab die Musik nicht mehr. Es war alles so still geworden.
    Ihr fehlte auch das Zwitschern der Vögel.
    Marietta drehte sich um.
    Sie sah die Wiese vor sich, aber sie hatte sich verändert. Es war nicht mehr das Aussehen, das sie
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