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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß
Autoren: S Park
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sich das erstbeste warme Kleidungsstück, das sie finden konnte: einen knielangen braunen Mantel mit Hakenverschluss. Darin eingepackt eilte sie aus ihrem Zimmer, um die Quelle des Geräuschs ausfindig zu machen.
    Im Hof war alles dunkel, bis auf eine kleine Lampe über dem trüben Lotusteich. Ihr Vater erwartete sie schon. Er trug einen Pyjama, hatte sich seine Brille aufgesetzt und lauschte dem Lärm der Studenten, die sich vor dem Tor versammelt hatten.
    »Zeig uns dein Gesicht! Zeig uns nur einmal dein Gesicht!«, riefen sie. »Nur ganz kurz!«
    Soo-Ja fühlte sich nicht gerade geschmeichelt, und es war ihr peinlich, dass der Vater alles mitbekam. Die Studenten hatten eindeutig zu viel Soju getrunken und benahmen sich, wie junge Männer das nun einmal tun, wenn sie betrunken sind. Sie wussten nichts von der Liebe, sondern ahmten nur nach, was sie woanders beobachtet hatten. Sie waren zu schüchtern, um im Unterricht das Wort zu ergreifen, und wohl kaum über Nacht zu vornehmen Liebhabern gereift.
    »Kennst du diese Leute?«, wollte der Vater von ihr wissen.
    »Nicht direkt. Aber ich habe sie schon mal gesehen.«
    »An der Universität?«
    »Ich glaube schon.«
    »Sollen wir sie auf eine Tasse grünen Tee hereinbitten?«, fragte der Vater hämisch. Am liebsten hätte er die Studenten wohl mit einem Eimer kalten Wassers überschüttet und diesen Coup sogar nach allen Regeln der Kunst durchgeführt: Zuerst hätte er langsam das Tor geöffnet, um ihre Erwartung zu steigern, dann den Eimer genau im richtigen Winkel ausgegossen, um möglichst viele zu erwischen, und schließlich noch ein paar gehässige Worte hinterhergeschickt.
    Doch bevor er in Versuchung kommen konnte, bat Soo-Ja ihn, kurz zu warten, und lief ins Zimmer ihrer Mutter. Als sie wenig später zurückkehrte, trug sie eine Art Maske. Sie ging direkt zum Tor und öffnete es wie ein General, der dem Feind die Festung überlässt.
    Die jungen Männer grölten vor Aufregung – und verstummten dann plötzlich, als sie die unheimliche Erscheinung sahen: Soo-Ja, die eine groteske, rote und blaue Tal -Maske aus Erlenholz angelegt hatte. Es war die traditionelle Hahoe -Tanzmaske, die früher von Schauspielern beim Singen getragen worden war. Der Ausdruck des halb menschlichen, halb geisterhaften Gesichts war stark überzeichnet, von den riesigen Brauen über die winzigen Augenschlitze bis hin zu den drei roten Punkten auf Stirn und Wangen. Bis vor wenigen Minuten hatte die Maske im Zimmer der Mutter als Dekoration an der Wand gehangen.
    »Hier bin ich! Ihr habt nach mir gefragt, und hier bin ich!«, rief Soo-Ja durch die kleine Mundöffnung der Maske.
    Keiner der jungen Männer wusste, was er sagen sollte. Der Effekt des Reisweins schien langsam nachgelassen zu haben, denn sie standen jetzt zögernd da und einige lachten peinlich berührt.
    »Ihr wolltet mich sehen. Und hier bin ich!«, rief Soo-Ja, durch die Ereignisse des Tages ermutigt. Ihre Eltern hatten ihr wehgetan, und jetzt wollte sie anderen wehtun.
    In diesem Augenblick teilte sich die Menge und ein junger Mann trat vor. Sie erkannte ihn sofort: Es war Min, der ihr auf der Straße gefolgt war. Er kam näher, mit einem kecken Lächeln, das Haar mit Vaseline zurückgekämmt. Sie bemerkte, dass er einen Schnitt an der Lippe und blaue Flecken im Gesicht hatte, und fragte sich, wie er wohl herausgefunden hatte, wo sie wohnte. Waren das seine Freunde? Min trug wieder eine weiße Jacke und weiße Hosen; entweder waren es dieselben Sachen, die in der Zwischenzeit gründlich gereinigt worden waren, oder er hatte noch mehr Exemplare auf Lager. Welcher Mann besaß denn einen Schrank voller weißer Kleidungsstücke?
    Min war ihr inzwischen so nah gekommen, dass er ihr Gesicht berühren konnte. Einen Moment lang fürchtete sie, er würde ihr die Maske herunterreißen. Doch in einer flinken, zackigen Bewegung, fast wie beim Militär, verbeugte er sich tief vor ihr. Als sein Kopf wieder hochschnellte, schaute er ihr respektvoll in die Augen. Dann wandte er sich an seine Kameraden und sprach zu ihnen, als wären sie es gewesen, die Soo-Ja am Nachmittag belästigt hatten.
    »Geht nach Hause. Für heute habt ihr sie genug genervt.«
    Die jungen Männer zögerten, manche zischten böse, aber nach einer Weile löste sich die Menge auf und alle gingen in verschiedene Richtungen auseinander. Doch die Männer bewegten sich langsam, um nicht zu verpassen, was Soo-Ja und Min zueinander sagen würden. Sie waren wie Kinder, die
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