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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß
Autoren: S Park
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Gesicht und halb zugeschwollenen Augen, strahlte er noch etwas Gebieterisches aus. Soo-Ja konnte sehen, dass er aus einer reichen Familie stammte. Sie standen sich als Ebenbürtige gegenüber, während die anderen Menschen nur bloße Statisten, ja, Pöbel waren.
    »Lassen Sie uns doch noch mal von vorne anfangen. Ich heiße Min Lee«, sagte er und verbeugte sich vor Soo-Ja. »Mein Vater ist der Unternehmer Nam Lee. Ich hätte wirklich meinen Mut zusammennehmen und Sie ansprechen sollen. Wenn ich verspreche, mich gut zu benehmen, gewähren Sie mir dann ein Rendezvous?«
    Soo-Ja betrachtete seine schmutzigen Kleider und sein blutunterlaufenes Gesicht. Er erinnerte sie an eine vom Baum gefallene Feige, deren aufgeplatzte Haut die Würmer anzog. Sie spürte, dass sie im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, dass die Menge den Atem anhielt und auf eine Antwort von ihr wartete. Die Welt drehte sich nur um sie, während sie das Für und Wider dieser so schwierigen Entscheidung abwog. Sie konnte ihm wohl kaum einen weiteren Schlag versetzen, wo er doch schon so übel zugerichtet war.
    »Na schön«, sagte Soo-Ja und spürte die kollektive Erleichterung der Menge. »Sie können mich demnächst mal ausführen. Aber Sie müssen selbst herausfinden, wo ich wohne. Weil ich Ihnen das bestimmt nicht verraten werde.«
    »Wo sind Sie gewesen? Ihr Vater wartet auf Sie!«, rief die Dienstbotin im grauen Hanbok. Soo-Ja war gerade erst durch das Tor des hundert Jahre alten Anwesens – ihres Zuhauses – geeilt. Jetzt stand sie mitten im Hof, wo ihre menschliche Präsenz einen heftigen Kontrast zu den Elementen der Natur bildete. Der dunkle Himmel verschmolz mit den wellenförmigen schwarzen Ziegeln des Daches, das in geschwungenen Vorsprüngen auslief und die beiden Teile des eingeschossigen Hauses miteinander verband. Die Wände des Hauses wiederum gingen optisch in die hellen, schweren Holztüren über. Der weiße, von Hand polierte Stein des Bodens schien ein organischer Teil des angrenzenden Kiefernhains zu sein; die Nadeln der Bäume bogen sich zur Seite, und die Zapfen öffneten sich wie Hühnereier, aus denen Küken schlüpften.
    Soo-Ja rannte die Steinstufen zum Haupthaus hinauf, ließ sich dann aber Zeit damit, das Zimmer der Eltern zu betreten und erlaubte ihrem Schatten, ihre Ankunft anzukündigen. Sie betrachtete die dunkelgelben Papiertüren, deren Fasern dick und rau hervortraten und fast schon lebendig wirkten. Als ihre Atmung sich ein wenig beruhigt hatte, schob sie die Türen mit den Fingern vorsichtig ein Stück weit auseinander und erblickte ihre Eltern, die beide auf dem Boden saßen und auf sie warteten.
    Soo-Jas Vater schaute von dem Rechnungsbuch auf, das vor ihm auf dem Schreibpult lag, und steckte den quadratischen Namensstempel, mit dem er seine Schecks unterzeichnete, in die Tasche. Neben ihm saß Soo-Jas Mutter, in der Hand eine glänzende, silberfarbene Messingschüssel, an deren Rand einige weiße Reiskörner klebten. Die Eltern hatten gerade das Abendessen beendet. Auf dem lackierten Mahagonitisch standen Schüsseln mit scharfem Kohl, Sojasprossen und Babytintenfisch mit Chilipaste.
    »Wo bist du den ganzen Abend gewesen? Na, egal. Weißt du, was das hier ist?«, fragte der Vater, nahm seine Brille ab und wedelte mit einem Brief.
    Soo-Ja setzte sich ihm gegenüber auf den geölten Holzboden und versuchte, möglichst damenhaft auszusehen, indem sie die Knie zusammenhielt und die Füße seitlich hinter sich platzierte. Aber diese Position war ziemlich unbequem, darum holte sie die Beine bald nach vorne und streckte sie aus.
    »Nein, Vater.«
    »Heute Morgen war ein Mann vom Außenministerium in der Fabrik. Er wollte mit mir über eine Stelle im diplomatischen Dienst für dich reden. Weißt du irgendetwas darüber?«
    Soo-Ja biss sich auf die Unterlippe. »Was hat er denn gesagt?«
    »Irgend so einen Blödsinn, dass meine Tochter sich angeblich für die Diplomatenausbildung beworben hätte. Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie so etwas hinter meinem Rücken und ohne meine Erlaubnis tun würde.«
    »Aber angenommen, deine Tochter hätte sich tatsächlich für die Ausbildung beworben … ist sie angenommen worden?«, fragte Soo-Ja und wippte nervös mit dem Oberkörper hin und her, wobei sie sich ganz gerade hielt.
    Verärgert schaute der Vater sie an. »Wie konntest du das nur tun, ohne mich zuerst um Erlaubnis zu fragen?«
    »Es tut mir leid, Abeoji . Aber du hättest es mir nicht erlaubt, wenn
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