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Moon

Moon

Titel: Moon
Autoren: James Herbert
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zutrieben.

Sie kamen aus der Nacht - Rauchschwaden, nebelhaft und vage, hauchdünne Bewegungen in der Luft, zierliche, ätherische Gestalten, ohne wirkliche Form und Substanz.
    Ihre Stimmen waren es, die in Childes' Bewußtsein klagten.
    Zuerst waren sie alle wie ein einziges Wesen, eine einzige zarte Wolkenbank, die sich langsam auf dem Damm entlangbewegte. Aber dann trennten sie sich, lösten sich auf in individuelle plasmische Muster, und jetzt wurden sie mehr und mehr zu unterschiedlichen Wesenheiten. Gestalten entwickelten sich. Konkrete Formen entstanden.
    Der Griff der Frau an seinem Hals lockerte sich. Sie richtete sich auf, und Bestürzung überschüttete ihr aufgedunsenes Gesicht. Da war mehr als nur unbehagliche Überraschung - Childes wußte es, wußte es aus ihrem Geist. Da war ein innerliches Erzittern, ein Aufflackern von Angst. Er entwand sich ihrem Griff, ließ sich auf den Betonsteg des Dammes fallen, rollte herum, und seine Armmuskeln zitterten vor Anstrengung. Er fluchte, wollte sich aufrichten - und schaffte es doch nur, sich gegen die Brüstungsmauer zu lehnen.
    Sie hatte das alles kaum bemerkt, so gebannt waren ihre schattigen Augen auf die herangleitenden Gespenster gerichtet. Ihre Stirn war in tiefe Furchen gelegt, die großen, mörderischen Hände waren geballt und vor die Brust hochgerissen, als habe sie Childes dort noch immer in ihrem Griff. Mit einem tapsenden Schritt wankte sie zurück, und der fette Körper straffte sich vor den Nebelgebilden. Nur ihr Gesicht war in ihre Richtung gedreht.
    Die Phantome kamen näher.
    Childes war so schwach, so unendlich schwach... als bezogen diese Gespenster aus ihm heraus ihre Kraft. Aber dann sackte auch die Psychopathin in sich zusammen, da sie auch an ihrem Geist sogen, genauso, wie sie sich von dem seinen nährten.
    Er verstand plötzlich, was sie gemeint hatte, vorhin, als sie von ihrer gemeinsamen Macht gesprochen hatte und wie stark und wie wunderschön sie sei! Aber hatte sie wirklich gewußt, wie gewaltig diese Gabe wirklich sein konnte? Denn ganz allmählich war zu erkennen, was diese langsam kreisenden Erscheinungen waren. Childes' Zähne schlugen wie im Fieber aufeinander; sein Körper wurde von elektrischen Wogen geschüttelt, und er kauerte sich an der Brüstung zusammen.
    Die - Es - die Kreatur - die Mörderin - stand jetzt wie ein untersetzter Monolith in der Mitte des Dammsteges; seltsam flaches, bleiches Leuchten fiel auf sie herab und markierte die Ankunft der Phantomgeschöpfe. Die Formen verfestigten sich jetzt endgültig, waren plötzlich weniger immateriell, weniger durchsichtig.
    Die erste Gestalt, die deutlich zu erkennen war, war schmächtig und jung; ein sehr kleiner Junge. Ein sehr blasser Junge. Ein Junge, in dessen Körper kein Blut mehr zirkulierte, in dessen Augen kein Leben mehr war und der in seiner Nacktheit zitterte. Ein kleiner Junge, dessen Körper ausgeweidet worden war. Sein Mund öffnete sich, und es war Erdreich hineingestopft, und dazwischen krabbelten winzige bleiche Maden - Maden, die normalerweise nur in Gräbern lebten. Die morschen Lippen bewegten sich, und obgleich kein Laut zu hören war, waren seine Worte doch zu verstehen.
    »Gib's 'rück«, flüsterte der Junge, und dieses Flüstern war in Childes' Geist und im Geist der Frau; verzerrte Worte, schlecht geformt und abgeschliffen von großer
    Anstrengung.
    »Gib's 'rück!«
    Und noch einmal:
    »Will's 'rück 'bn!«
    Seine Skeletthand streckte sich aus und forderte das Herz zurück, das ihm gestohlen worden war.
    Die Frau wankte, und dieses Mal war sie es, die an der Brüstung Halt suchte.
    Eine weitere Gestalt wehte heran und kam hinter dem Jungen hervor; eine weibliche Gestalt, wie Childes erkannte. Lippenstift war über ihr ganzes Gesicht verschmiert, wie von einer gewalttätigen Hand. Das Mascara ihrer Wimperntusche war zu breiten, rußigen Strömen zerlaufen, die ihr Gesicht endgültig zur bemalten Fratze eines verrückten Clowns machten - ein wahnsinniges Make-up, mit dem man kleine Kinder erschreckte. Wie der Junge, war auch sie nackt, und auch ihr Rumpf war vom Brustbein bis zu den Schamhaaren aufgeschlitzt. Ihre Brüste waren blutige Wunden. Grobes Flickwerk platzte auf, und die kreuzförmige Wunde spie die in sie hineingestopften Gegenstände aus - erheiternd komische Objekte, aber niemand lachte, niemand fand diese Objekte komisch: eine Haarbürste, einen Wecker, einen Handspiegel... sogar ein kleines Transistorradio. In den verschmierten
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