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Moon

Moon

Titel: Moon
Autoren: James Herbert
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verlorengegangenes Gehirn auf und stopfte es mit einer Selbstverständlichkeit wieder in seinen Schädel zurück, als setzte er sich einen Hut auf.
    Childes frage sich, ob er selbst nun den Verstand verloren hatte.
    Die Frau wich zurück, stolperte über Childes' ausgestreckte Beine, griff nach der Brüstung, um ihr Gleichgewicht zu bewahren, wankte weiter, fort, nur fort von diesem Damm. Sie eilte auf den Wasserturm zu, und wollte daran vorbeilaufen, auf die Felsen zu, dorthin, wo Bäume und Unterholz Sicherheit versprachen, dorthin, wo sie sich versteckt gehalten hatte. Die Geschöpfe folgten ihr, huschende Wesen im Mondlicht, mit ausgestreckten Armen und lichtlosen Augen, die starr auf sie gerichtet waren. Die Phantome waren langsam, so langsam, aber sie folgten ihr unerbittlich. Ein Zeitlupenrennen. Eine mächtige Prozession an Childes vorbei, gerade so, als sei er das Gespenst, unbemerkt, nicht wahrgenommen.
    Nur die kleine Gestalt - Annabel - hielt an und verweilte bei ihm.
    Childes beobachtete, wie die Frau rückwärts gehend stolperte und davonhastete, und er verachtete sie für all die Grausamkeiten, die ihr perverser und doch außergewöhnlicher Verstand erdacht und verwirklicht hatte. Und doch konnte er keine Genugtuung über diese furchtbare Vergeltung empfinden. Noch immer sickerte die tintenschwarze Substanz aus ihrer Augenhöhle und über die darauf gepreßten Finger, aber sie achtete jetzt nicht mehr darauf, sie wich weiter zurück, immer weiter. Und dann wirbelte sie erstaunlich behende herum, wandte den nachrückenden Gespenstern den Rücken zu und stürmte los. Alptraumhaftes Entsetzen zwang ihre dicken Beine mit den überquellenden Knöcheln in einen torkelnden Laufschritt.
    Bald darauf stoppte sie abrupt. Und wich erneut zurück. Wankte fort von den Stufen, die sie vorhin so siegessicher emporgestiegen war - ein Ghoul, der sein feuchtkaltes Grab verließ.
    Sie kehrte um und lief ihren Verfolgern direkt in die Arme.
    Childes sah, was sie aufgehalten hatte; weitere Gestalten erschienen jetzt auf den Stufen. Zuerst waren nur Köpfe und Schultern zu sehen, dann der Brustkorb, die Hüften - sie alle trugen nicht die Nachtgewänder, in denen sie von den Flammen verschlungen worden waren, sondern ihre Schuluniformen, und die La Roche-Farben verwandelten sich im Mondlicht zu einer einzigen Farbe, makellos und von den Flammen unversehrt, obwohl ihre Körper verkohlt und mumienhaft geschrumpft waren, obwohl ihre Haare fehlten und die Schädel dunkel und zerfleischt waren, mit lippenlosen, freiliegenden Zahnreihen, die sie zu einem schrecklichen Grinsen aufeinandergebissen hatten. Und dann deutete Kelly mit ihrer verbrannten Hand auf die schwerfällige Frauengestalt, und ihre Gefährtinnen kicherten, als hätte ihnen Kelly einen gewagten Witz zugeflüstert...
    ... und Miss Piprelly führte sie alle an, ihr verkohlter Schädel saß direkt auf den Schultern, und es war ein unsicherer Halt, als würde er gleich kippen, und ihre seltsam schräggestellen Augen leuchteten bleich aus geschwärzten Knochen und verkohlter Haut hervor -Augen, die gefüllt waren mit unendlicher Trauer, Augen voller Tränen...
    Und die Hausmutter folgte ihnen allen, sie behütete ihre Mädchen, sie vergewisserte sich immer wieder, daß keines davongeirrt, keines abhanden gekommen war und daß sie alle tadellos gekleidet waren und sich nicht weh taten, sie hütete sie, obwohl sie sehr genau wußte, daß dieses zerschmolzene, verklumpte Gewebe keinen Schmerz mehr empfinden konnte - o nein, es gab keinen Schmerz mehr, für die Mädchen nicht, und für sie selbst auch nicht...
    Vor Childes' Augen verschwamm alles, und doch war in seinem Kopf alles kristallklar. Selbst dann noch, als ihm die Tränen kamen, selbst dann noch, als die Mädchen wieder so wurden, wie sie im Leben gewesen waren - jung und hübsch, ihre Haut rosig und straff und voller Vitalität; sie formierten sich zu ihrer Doppelreihe, und die Direktorin bedeutete ihnen forsch, ihr zu folgen, und die stets wachsame Hausmutter eilte hinterher; Miss
    Piprellys Kopf war wieder aufrecht, wie eh und je, ihre ganze Haltung (diese berühmte Ladestock-Haltung) signalisierte Stolz, und Kelly plapperte, wie immer, viel zuviel und viel zu keß; ihre noch immer ausgestreckte Hand war glatt und schlank, nur ihre Augen - ihre Augen waren tot. Der Wandel dauerte nur Sekunden an. Sie hatten die Stufen hinter sich gebracht und die Frau erreicht. Und jetzt waren sie wieder verkohlte und
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