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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni
Autoren: Grünschnabel
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Schlaf.
    Hände, die wechseln. Die nicht loslassen. Drei Tage nicht, sagen sie. Drei Tage.
    Am vierten sitze ich am Küchentisch und löffle Suppe, vielleicht will sie bleiben. Meine Mutter streicht mir übers Haar.
    – Bald wird es besser.
    Sie sahen mir beim Essen zu, wechselten sich auch dabei ab, meine Mutter schnitt Blumen, stellte sie in eine Vase, mein Vater las, und später nahm meine Mutter den Mantel. Sie kam mit einer Schachtel wieder, die sie auf meinem Bett auspackte. Mein Vater legte sein Buch weg.
    – Was ist das?
    – Eine Höhensonne.
    – Wozu brauchen wir so etwas?
    – Für meinen Teint.
    – Für deinen Teint?
    Meine Mutter schaute erst ihn an und dann mich.
    – Ich hab nichts gemacht.
    Mein Vater rieb sich die Nasenflügel.
    – Ich weiß. Es war Mutter Natur.
    Es war auch Mutter Natur gewesen, die diese Grippe an nahezu jeden verteilt hatte. Nur meine Eltern, Eli und die Blondierte blieben gesund, es war ein Wunder. Sie hatten alle Hände voll zu tun. Mein Vater kochte Hühnersuppe im Akkord, meine Mutter trug sie aus und kam mit Körben voller Bettwäsche nach Hause, die sie nachts wusch. Die Blondierte hatte noch nicht einmal Zeit, zum Friseur zu gehen. Ihr Scheitel leuchtete fuchsrot, während sie wortlos bei uns in der Küche Wäsche bügelte und an ihre drei Großen Kopfnüsse austeilte, wenn sie in den Fernseher stierten, anstatt ihre Hausaufgaben zu erledigen.
    Nach der Grippe waren alle krank vor Müdigkeit. Meine Mutter brauchte besonders viel Ruhe und Rücksicht. Sie musste sich pflegen. Nach einer vollen Stunde vor der Höhensonne legte sie sich mit einem Brei aus Gurken, Honig und Quark im Gesicht in den Liegestuhl. Ich sah leise in den Himmel, zeichnete auf Zehenspitzen und nahm alle Wörter mit zu Eli, der beim Hasenstall saß und Schneewittchen altes Brot zusteckte. Meine Sammlung in Streichholzschachteln war schon ganz schön groß. Wörter für SPÄTER, von FRÜHER, für JETZT.
    ADOPTION nannte sich das, was ich hatte. Eli hatte es mir erklärt. Es war mein neuestes Wort.
    – Aber es passt nicht mehr in die Schachtel JETZT.
    – Dann nimm doch PFLEGE raus. Das brauchst du nicht mehr.
    – Doch.
    – Dann leg es in die Zukunftswörterschachtel. Da ist noch viel Platz.
    ADOPTION hatte meine Mutter geschrieben, KAPITAL mein Vater, und Eli schrieb ZUHAUSE.
    – Und wohin kommt GLÜCK?
    – Dazu ist das Leben nicht verpflichtet, sagt er.
    – Und zu ADOPTION?
    – Auch nicht.
    – Schreib mir GLÜCK auf.
    GLÜCK. Es gehört in die Streichholzschachtel UNWAHRSCHEINLICHKEIT Schrägstrich HOFFNUNG.
    – Und LEBEN?
    – Gehört in alle Schachteln.
    Eli schrieb LA VIDA.
    – Ist es in Spanisch dasselbe?
    – In keinem Mund ist es dasselbe.

Nicht alle Wohnungen …
    N ICHT ALLE WOHNUNGEN IN unserm Haus hatten Zentralwärme. Die meisten versorgten sich deshalb im Winter elektrisch. Es war schwierig mit dem Elektrischen, alle wollten etwas davon abhaben, und das Haus hatte nicht mit so vielen Bewohnern gerechnet.
    Die Männer zogen nachts Leitungen ins Nachbarhaus, und die Sicherungen hüpften aus der Fassung. Nicht jeder Radiator war legal anwesend, von Fernsehern und Radios ganz zu schweigen.
    Es gab Aufruhr, wenn die im Nachbarhaus wieder herauskriegten, dass ihr Strom nebenan Radio, Fernseher und sogar Heizung möglich machten. Danach war es wieder beinahe überall dunkel, kalt und still, weil die Polizei an den Leitungen gerissen hatte, und es gab Probleme: Nicht nur zu viele Radiatoren hatten illegal in den Wohnungen herumgestanden, sondern auch Ausländer. Pechvögel, nannte sie mein Vater, und Glückspilze jene, die Eli aus dem Hintereingang winkte und sie auf eine weit entfernte Baustelle in die Ferien fuhr, damit sie hier dem Elektrischen nicht mehr zur Last fielen, bis sich die Lage wieder beruhigt hatte.
    Der Vermieter hatte Verständnis für die Ausländer: dass welche nachkommen, weil sie zusammengehören, dass welche nachkommen, weil sie geboren werden, dass sie alle unterkommen wollen; er hatte nichts dagegen, wenn sie sich vergrößern wollten.
    – Geteilte Freude ist doppelte Freude, sagte er.
    Die Ausländer verstanden ihn.
    Sie riefen Eli, und er zog eine Mauer ein, machte aus einer Wohnung zwei. Der Vermieter hatte danach die doppelte Freude und die Ausländer die geteilte.
    Einmal die Woche kam er kassieren. Die Hände in den ausgebeulten Taschen, wiederholte er im Treppenhaus, dass in der Bescheidenheit der Ausländer ihre Möglichkeiten liegen. Das trug ihm
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