Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni
Autoren: Grünschnabel
Vom Netzwerk:
den Teufel nicht schert, sagen sie. Unglaublich die Kurven, in die wir uns legen, um dorthin zu kommen. Jedes Mal wird mir schlecht.
    – Sieh dir das an.
    Tat war nicht zufrieden mit seinen Beinen. Er wollte noch ein drittes, hatte eins bestellt bei der Versicherung, aber sie wollte ihm kein weiteres schicken.
    Wo ein linkes sein sollte, war auch ein rechtes, das machte Probleme beim Schuhekaufen. Tat machte Probleme beim Schuhekaufen und nicht nur dort: auch bei der Versicherung, die ihm das eingebrockt hatte. Er schrieb ihr einmal die Woche, mehrere Male, wenn der Stumpf wieder wund war. Er schrieb von Hand, seit mein Vater ihm die Buchstaben herausmontiert hatte, die es brauchte, um Wörter zu tippen, die sich Amtsbeleidigungen nannten. Sie kosteten Tat viel Geld, und die Versicherung stellte ihm zusätzlich etwas in Aussicht, das Entmündigung hieß.
    Jeden Sonntag musste mein Vater ihm alle Antwortbriefe der Versicherung vorlesen, auch wenn kein neuer gekommen war. Tat vergaß schnell, er wollte im Kopf wieder auf den neuesten Stand gebracht werden und suchte deswegen seine Brille. Ohne konnte er nicht zuhören. Während mein Vater in den Briefen blätterte und vorlas, mahlte Tat mit den Kiefern, schmatzte mit seinen losen Zähnen und fauchte.
    – Merda de giat! Katzenscheiße!
    – Fluch nicht so.
    – Den Teufel werd ich. Mir leiert das Gedärme. Tut dir was weh?
    – Ja, ein Zahn.
    – Aber du hast ihn noch. Mir tut sogar weh, was fehlt.
    – Warum brauchst du noch mehr Beine, Tat?
    – Siehst du doch, Grünschnabel, ich fall immer hin.
    – Und wieso kauft dir die Versicherung kein neues?
    – Sie sagt, ich bin kein Weltwunder. Keiner braucht mehr als zwei Beine.
    – Kannst du dir keines selber kaufen?
    Tat schüttelte den Kopf.
    – Zu teuer.
    – Aber warum hast du zwei rechte Beine? Keiner hat das.
    – Sag ich doch. Sieh dir den Grünschnabel an. Hat mehr Grütze im Kopf als eine ganze Versicherungsgesellschaft.
    – Warum hast du zwei rechte Beine?
    – Ich hatte einen Unfall mit dem Motorrad, es ist Jahre her, ich verlor ein Bein dabei. Nach dem Unfall bekam ich eins, ein rechtes. Es passte nicht richtig. Ich bekam noch eins, war ziemlich zufrieden damit, ich stellte das andere in den Schrank, und dann verlor ich das andere.
    – Wegen verstopfter Venen von zu vielen Toscani, ich weiß.
    Tat rutschte auf seinem Hintern hin und her, als hätte ihn etwas gestochen.
    – Seh sich einer den Grünschnabel an. Was auch immer: Die Versicherung hat zwei Beine in ihren Akten stehen. Mehr kann keiner verlangen, sagt sie. Zwei Beine sind zwei Beine. Wann fahrt ihr? Wir müssen noch in den Garten.
    Der Garten hatte zu viele Früchte. Die Pflaumen so groß wie Pfirsiche, die Äpfel tiefrot. Obst, dass sich die Bäume bogen, korbweise luden wir es ins Auto. Die Blondierte schwärmte davon, in unserer Straße war es weltberühmt. Tat war hochzufrieden. Seit er in die Stadt gratis Obst lieferte, sahen die Städter nicht mehr auf ihn herab.
    – Warum?
    – Deshalb. Aber es gibt bessere Gründe.
    Tat und ich gründeten das Lexikon der guten Gründe. Nach diesem Nachmittag hatte es mehr Seiten, als ich schon zählen und Tat sich noch merken konnte. Tat nannte gute Gründe auch Argumente . Argumente konnten die Farbe ändern, gute Argumente waren schnell wie der Wind, waren unschlagbar und genau wie die Spezialmesser der Ärzte, die versucht hatten, Onkel Niculins Herz zu retten. Manchmal würden auch gute Gründe oder beste Argumente nichts helfen, sagte Tat. Aber ein paar Dinge stehen fest: Es gibt gute Gründe für Pflaumenbäume, für Pfirsichbäume, für Erdbeerkuchen, für schnelle Motorräder, Toscani, für schöne Frauen, ganz schöne Frauen und extraschöne Frauen (Tat), für Augenblicke mit Ewigkeitscharakter, in denen einem das Herz vor Glück stillsteht, für lange Küsse (ich hatte keine Ahnung, wovon Tat redete, er eigentlich auch nicht mehr, sagte er), umso mehr gibt es gute Gründe für die Erinnerung, für das Jetzt, auch wenn man es nicht immer sehen kann. Es gibt gute Gründe für Dejans Musik, für Mirelas Lachen, für warmes Brot, Elis Mauern, künstliche Eltern, für künstliche Beine, für Schnitzel, für Schneewittchen, schönes Wetter und Fliegenklatschen.
    Es gab gute Gründe für die Chefin, für ihren Hund, für vergitterte Fenster und extrawarme Decken, für Pudding am Sonntag und Apfelmus, für Helenes Kuchen, für die gestohlenen Äpfel und die geschenkten, für ein blaues Auge oder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher