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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni
Autoren: Grünschnabel
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zwei, für Ohrfeigen, es gab gute Gründe für die Großen, sie auszuteilen, für die Kleinen zu petzen, es gab gute Gründe für die, die ausrissen, und für die, die blieben.
    – Sogar für Fliegen gibt es gute Gründe, sagt Tat. Würden die nicht so viel Scheiße fressen, gäbe es auf der Welt noch mehr davon.
    Die Zähne schon wieder im Glas, verabschiedete er sich, und in ein Gespräch mit sich selbst vertieft, stand er in der Tür, hob die Hand, und mein Vater seufzte, immer kann es das letzte Mal sein. Meine Mutter seufzte auch. Nun würde Tat die Polenta wieder vergessen, die er gekocht hatte, entweder täglich neue kochen, immer eine Pfanne voll, damit er anderntags auf sie zurückgreifen könnte, er würde die Tage vergessen, doch nichts essen und irgendwann die Polenta verwundert unter dem Schimmel suchen und anrufen, wenn er dabei war, neue zu kochen. Während er sie umrührte, hatte er Zeit.
    POLENTA legte ich in die Schachtel IMMER. Immer sollte sie frisch sein und immer bereitstehen für Tat.

Im Haus zogen …
    I M HAUS ZOGEN NEUE Mieter ein. Sie machten eine Menge Lärm. Mit dem Lärm zusammen, den wir Kinder machten, zerrte das an den Nerven meiner Mutter. Nerven, die zwar aus Drahtseil waren, aber auch die letzten. Hier hatten alle nur noch die letzten Nerven, und die Blondierte mit ihren Söhnen ganz besonders, weil wir es auf ihre drei Hunde abgesehen hatten, von denen sich ihre Großen einen hergenommen hatten, um ihn zu blondieren. Sie machte Aufruhr deswegen, weil sie auch blondiert und ihr Werner Fernfahrer immer im Ausland war mit seinem Lastwagen, allein auf der Landstraße und sie irgendwie trostlos.
    Sie setzte ihre Menge in Gang, schnaufte die Treppe hinauf und schrie, dass sie die Großen ins Heim geben würde und uns hinterher, und dass sie sich verflucht, uns nicht alle schon vor Jahren an der Autobahnraststätte ausgesetzt zu haben oder dem Mann mitgegeben hat nach irgendeinem Ausland. Dann warf sie die Türen zu, dass der Putz rieselte. Gewundert hat das keinen. Im Haus knallten die Frauen enorm mit den Türen, das war vom Vermieter erlaubt, und einmal im Jahr standen die Männer mit Spachtelmasse im Flur herum und besserten es ein bisschen aus.
    Einer der neuen Mieter kam uns hin und wieder im Treppenhaus entgegen. Er hatte so dunkle Haut wie ich.
    – Mit dem ist etwas nicht in Ordnung, sagte meine Mutter.
    – Er ist Italiener, sagte mein Vater.
    – Er heißt Toni, sagte ich.
    – Woher weißt du das?
    – Ich war im Garten.
    – Ach, im Garten war er?
    – Er sagt, er braucht frisches Gemüse. Er pflanzt es. Er sagt, dass die Arbeit mit Erde so ehrlich ist wie Kinderkriegen, nur dass man nicht immer ehrlich zu Erde und Kindern kommt.
    Man hätte die Luft schneiden können. Mein Vater stopfte mich mit Wörtern voll, und dann fielen sie mir zu den ungünstigsten Gelegenheiten wieder aus dem Kopf.
    Kinderkriegen war einfach kein gutes Thema für den Appetit meiner Mutter, ich hätte es wissen müssen. Kinderkriegen lag ihr so schwer im Magen wie eine tödliche Portion Käsefondue. Sie war schlagartig satt. Sie schob ihren Teller von sich und sagte langsam, dass mein Vater keine Kinder kriegen könne, mein Vater sagte, meine Mutter könne es auch nicht, und von mir wisse man nicht, wie ich zustande gekommen sei. Meine Mutter sagte, ich hätte im Krankenhaus bereitgelegen, irgendwie auf Reisen, und ich hätte jederzeit abgeholt werden können, und weil das lange Zeit niemand getan hatte, wäre ich anderswo hingekommen, von wo sie mich herhätten. Punkt. Mein Vater seufzte, murmelte, dass er Zahnschmerzen hat, sagte, dass die Arbeit ruft, und sie sagte, ja, ja, geh nur, so leise, dass er es nicht hörte. Sie nahm eine Tablette gegen das Himmelelend, die nicht half. Sie legte sich hin, schickte mich in die Küche, um eine zweite Tablette zu holen, aber auch die nützte nicht, es wurde schlimmer. Sie erzählte, dass sie in meinem Alter auch auf Reisen gewesen war, weil Krieg herrschte. Frankreich war nicht mehr bewohnbar gewesen wegen der Deutschen. Es gab Bilder, die wollten ihr nicht aus dem Kopf. Nicht zu fassen, sagte sie, nach all den Jahren. Die Bilder blieben: solche von französischen Bahnhöfen, solche von Zügen. Bilder von Onkeln, die nicht da waren, wenn man sie brauchte, Häuser, die nicht da waren, wenn man sie brauchte, Häuser, die den Onkeln um die Ohren geflogen waren, den Tanten, den Onkeln, sogar einem Bruder, ein Kind noch. Alles in tausend Stücke, sagte sie.
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