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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Adam Nevill
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PROLOG
    Denver, Colorado
3. März 2011
     
    Die Frau konnte hören, wie die alten Freunde sich in den fernen und nicht so fernen Räumen ihres Hauses bewegten. Die alten Freunde, die sie schon länger vergessen wollte, als sie Kraft fand zurückzudenken. Solange sie sich erinnern konnte, war ihr Leben ein einziges langes Warten, ein Warten darauf, dass sie erschienen, um ihr Werk zu vollenden. Denn die alten Freunde vergaßen nie. Sie kamen ohne Einladung und tauchten ohne Vorwarnung auf. Sie machten ihre Besuche nach Einbruch der Dunkelheit und hörten niemals auf.
    In letzter Zeit waren die alten Freunde dreister und heftiger geworden. Verhielten sich geschickter beim Reinkommen. Beim Eindringen. Heute Abend wiesen ihre Bewegungen darauf hin, dass es ihr letzter Besuch war – das Finale einer immer weiter fortschreitenden Vereinigung.
    Seufzend schloss sie die Augen, legte die Hand an den Türrahmen und drückte mit ganzer Kraft dagegen. Dann schaute sie auf, ihr Körper war wie erstarrt, aber sie besaß immerhin genügend Entschlusskraft, um einen Schritt ins Innere des Hauses zu wagen. Dann noch einen. Und schließlich noch einen.
    Am Fuß der Treppe blieb sie stehen, mitten im unbeleuchteten Haus, noch immer in Schuhen und Mantel, und blickte
nach oben in die Dunkelheit, wo die Stufen sich im Ungewissen verloren. Und konzentrierte sich mit aller Kraft auf das, was nur die Ohren eines angsterfüllten Menschen hören können. Aber sie horchte auch mit dem Überdruss einer zutiefst Erschöpften.
    Nur der ganz schwache Schimmer einer in der Nähe stehenden Straßenlaterne spendete ein wenig Licht, das es aber kaum schaffte, den gesamten Flur vor der geöffneten Haustür zu erhellen. Weiter entfernt wurde ein Auto gestartet, wie gern würde sie darin sitzen. Sie drehte den Kopf und sah hinaus auf die verlassene Straße. Und wurde erfasst von dem mächtigen Drang, irgendwohin zu laufen, dorthin, wo die Lichter noch an waren und wo die Gesichter der Menschen sich beim Lächeln und Sprechen oder auch beim Schweigen bewegten. Sie wollte bei ihnen sein, ein Teil ihres unspektakulären Lebens. Der Wunsch war so stark, dass es schmerzte. Sie spürte, wie es sie erneut zur Flucht drängte. Sie machte einen Schritt auf die offene Tür zu. Aber nicht noch einen. Sie blieb stehen. Wollte ihren Platz behaupten.
    Weil sie verdammt war wie ein Geist am letzten Tag seiner Heimsuchung. Ein Gespenst, das kaum noch etwas bewohnen konnte, nur die leeren Zimmer einer einsamen Existenz. Ein Schatten, der die Welt von einem anderen Ort aus betrachtete, halb in dieser Wirklichkeit, halb in der anderen, und auf den Klang all dieser hellen, klaren Stimmen lauschte, aber niemals die eigene erhob. Sie hatte stärker gekämpft als alle anderen. Sie war standhaft geblieben, als die anderen untergingen.
    Mit einem Mal wurde sie von einem Gefühl der Reue erfasst, gefolgt von Hoffnungslosigkeit. Sie lebte mit den Konsequenzen von Handlungen, die begangen worden waren, bevor Vernunft und Erfahrung überhaupt eine Bedeutung hatten. Egal wie oft sie die Vergangenheit heraufbeschwor und Wahrscheinlichkeiten hinzufügte oder Details wegnahm, alles blieb unbeweglich und führte sie wieder genau dorthin, wo sie sich jetzt ganz allein befand. Sie rechnete sich aus, dass es dieses Mal endlich so weit war.
Sie schluckte und zog die kalte, schwere 38er aus ihrer Handtasche. Wenn man bedachte, dass sie sich noch zu den Glücklichen zählen durfte …
    Dies war das dritte Haus, das die Frau in den letzten fünf Monaten unter falschem Namen angemietet hatte, und jedes Mal hatte sie ihr neues Heim wieder verloren, wegen der Wände und der Zeichen, die die alten Freunde darauf hinterließen. Vor drei Tagen war sie aus ihrem Schlafzimmer nach unten gegangen und hatte sich in einem kalten Haus ohne Strom wiedergefunden. Der Geruch nach Abwasser und nach Asche, die im nächtlichen Regen nass geworden war, stieg die Kellertreppe herauf. Die Leitungen unter dem Sicherungskasten waren durchgenagt. Die Wand hinter dem Kasten war mit einer nicht identifizierbaren, größtenteils getrockneten Masse beschmutzt, die sie mit schwarzer Farbe übertünchte. Sie hielt die Augen geschlossen und weinte vor sich hin, während sie die Farbe an die Wand pinselte.
    Mit einer unangenehmen Regelmäßigkeit hatten sie außerdem begonnen, Dinge zu hinterlassen. Um deutlich zu machen, dass ihr schauderhaftes, immer wiederkehrendes Auftauchen unvermeidlich war. Gestern, bevor sie eine
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