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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Adam Nevill
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der anderen Sozialfälle. Das muss ziemlich erniedrigend für diese dickliche Privilegierte mit dem prägnanten Gebiss gewesen sein, die nun als Ausgestoßene zusehen musste, wie ihre ehemaligen Kameradinnen zum Debütantinnenball gingen.«
    Kyle zuckte mit den Schultern. »Davon weiß ich nichts …«
    »Mit fünfzehn lief sie von zu Hause fort und sprach kein Wort mehr mit ihrer Mutter. Sie kam in ein Heim für schwer erziehbare
Jugendliche, nachdem sie gestohlen hatte und gewalttätig geworden war. Dann, mit Anfang zwanzig, folgten Gefängnisaufenthalte. Sie wurde wegen Prostitution angeklagt, später, weil sie ein Bordell geführt haben soll. Betrug und Unterschlagung kamen auch noch dazu. Eine richtige kriminelle Karriere. Das kann man interpretieren, wie man möchte. Aber was wir an Zeugnissen über ihre Zeit als Heranwachsende haben, weist deutlich darauf hin, dass Katherine sich nie damit zufriedengab, mit dem Strom zu schwimmen. Das steht eindeutig fest. Sie wollte Macht. Und Status. Sie wollte das zurückhaben, was man ihr genommen hatte.«
    Kyle glaubte einen Anklang von Bitterkeit in Max’ Stimme wahrzunehmen, aber auch noch etwas anderes: Respekt, wenn auch widerwillig.
    »Die Ursprünge des Tempels sind sehr interessant. Der Kult entwickelte sich aus einer Vermischung von Scientology und apokalyptischen Millenniums-Ideen, imitierte christliche Heiligenverehrung ist auch dabei, außerdem schwarze Magie, Buddhismus, der Glaube an Wiedergeburt … und verschiedene andere Elemente.« Max schien sich jetzt irgendwie von Kyle zu entfernen, von der ganzen Unterhaltung, sogar von dem Raum, in dem sie sich befanden. Wie ein alter Mann, der in Erinnerungen schwelgt. »Es hätte alles so schön sein können. Ein bisschen billige Psychotherapie, angereichert mit mittelalterlichen Ideen von Askese und Frömmigkeit. Ein Leben ohne falschen Stolz und Egoismus. Das jedenfalls waren die ursprünglichen Ideale. Alles eingehüllt in allerlei Mystizismus, damit es toll aussah.«
    Max erwachte wieder aus seiner Träumerei, merkte, dass er abgeschweift war, und verbannte das dünne Lächeln aus seinem Gesicht. »Es war eine Weltanschauung voller guter Absichten, die sehr schnell von einer Soziopathin mit kriminellen Neigungen vereinnahmt wurde. In London nannte sich der Kult ›Die Letzte Zusammenkunft‹. In Frankreich wurde dann der ›Tempel der
Letzten Tage‹ daraus, als sich die Gruppe aufspaltete. Das war auf einem Bauernhof in der Normandie, wo die Mitglieder beinahe alle verhungert wären. Die Übriggebliebenen wanderten nach Amerika aus, unter der gleichen Führung. Und dort, in Arizona, kam es 1975 dann zur totalen Selbstzerstörung. Das ist Ihnen doch sicherlich alles bekannt, oder?«
    Kyle war unangenehm berührt. »Das ist mir keineswegs bekannt« , sagte er und räusperte sich ein wenig zu laut. »So gut kenne ich mich damit nicht aus.«
    »Ich verstehe schon«, sagte Max mit herablassendem Unterton.
    Einen Moment lang war Kyle wie benommen, er fühlte sich wie in der Schule, wenn er auf eine Frage keine Antwort wusste. Das war eine völlig unlogische Reaktion, denn warum sollte er irgendwas über diesen Kult wissen? Hatte er das fälschlicherweise angedeutet? Diese Gruppe war doch überhaupt nicht bedeutend. Und Max Solomon hatte in seiner Einladung in sein Produktionsbüro, die er per E-Mail geschickt hatte, nur davon geschrieben, dass es um eine »mögliche Zusammenarbeit« ginge, ohne etwas Konkretes zu benennen. Trotzdem merkte er jetzt, dass er rot wurde. »Ich möchte nicht unhöflich sein«, sagte er. »Aber warum sollte mich das interessieren?«
    »Ich habe einige Ihrer Werke mit großem Vergnügen gesehen, Kyle, und ich würde sagen, dass Sie bestimmt daran interessiert sind«, sagte Max lächelnd, bemüht, auch weiterhin den Eindruck eines kultivierten, lässigen und zufriedenen Mannes zu vermitteln, dem Erfolg und Wohlstand sicher sind und der dies anderen gern zeigt. Kyle kannte dieses Gehabe allzu gut. Er hatte eine Abneigung gegen solche Typen, die sich für was Besonderes hielten, gegen diese Geldmenschen, diese Filmproduzenten aus den oberen Etagen, die sich selbst viel zu wichtig nahmen. Sie sonnten sich gern im Glanz der Kreativen und wiesen bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass sie selbst ja auch unglaublich kreativ seien. Und indem sie das taten, entwerteten sie den Begriff. Diese
Leute hatten die Tendenz, sich die Arbeit anderer Menschen anzueignen, das hatte er mehr als einmal auf
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