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Nea - James erzaehlt –

Nea - James erzaehlt –

Titel: Nea - James erzaehlt –
Autoren: Natalie Rabengut
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    Das hier ist eine längere Geschichte. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts, wenn ich ausführlicher bin als sonst und Ihnen manche Details erst einmal bewusst vorenthalte – Dramaturgie, Sie verstehen. Aber ich denke, wenn ich schon so lange Ihre Aufmerksamkeit beanspruche, kann ich Ihnen wenigstens etwas für Ihre Zeit bieten. Immerhin haben wir meist viel zu wenig davon und es ist umso wichtiger, diese seltenen Momente möglichst bewusst zu gestalten.
    Keine Sorge, ich werde nicht moralisierend. Angesichts dessen, was ich Ihnen erzählen will, wäre das extrem scheinheilig, denn ein Musterbeispiel von Sittlichkeit bin ich nun wirklich nicht. Gleichzeitig lässt sich hier natürlich hinterfragen, was wir überhaupt unter Moral verstehen und ob sich dieser große Begriff so einfach mit den vorherrschenden, bürgerlichen Werten gleichsetzen lassen kann – doch ich schweife wieder ab; darüber haben sich schon weitaus klügere Menschen als ich den Kopf zerbrochen.
    Vermutlich sollte ich einfach an der logischsten Stelle beginnen: Am Anfang.  
    Vor gar nicht allzu langer Zeit habe ich einen Mann namens Mike kennengelernt. Anfangs wusste ich nicht so recht, was ich von ihm halten soll, denn er hatte mich ausfindig gemacht und kontaktiert, ohne dass wir uns zuvor überhaupt jemals gesehen hatten. Eigentlich lege ich großen Wert auf meine Privatsphäre, deswegen muss ich zugeben, dass ich seine Art der Kontaktaufnahme anfangs etwas irritierend fand. Wenigstens hatte er jedoch einen guten Grund für alles – doch das ist eine andere Geschichte.
    Jedenfalls wurde dieser ominöse Mann schnell zu so etwas wie einem Arbeitskollegen, bis ich letztendlich dazu übergegangen bin, ihn als meinen Freund zu bezeichnen – vielleicht sogar meinen besten Freund. Trotzdem pflegen wir immer noch eine professionelle Beziehung zueinander (wenn man das so nennen kann), die aufgrund der gegenseitigen Sympathie extrem unkompliziert verläuft.
    Ich fange schon wieder an, ausführlicher zu werden als nötig. Was Sie über Mike wissen müssen, ist eigentlich bloß eines: Er organisiert Events, die seinen „Klienten“ (ich setze dieses Wort hier in Anführungszeichen, weil er großen Wert darauf legt, sie nicht als Kunden zu bezeichnen) erlauben, sich in einem sicheren Umfeld alle sexuellen Wünsche zu erfüllen. Wir sprechen hier von erotischer Unterwerfung und Dominanz, Fantasien in sehr spezifischen Settings und ähnlichem – den schönen Dingen des Lebens eben. Und wie es manchmal so kommt, lernte ich Mike kennen, indem er mich als Darsteller für eines dieser Events engagierte. Dass die von den Klienten gewünschten Spielarten genau meinen persönlichen Präferenzen entsprachen, war dabei natürlich ein äußerst angenehmer Bonus. Aber das ist ebenfalls eine andere Geschichte.
    Eines Tages, eine geraume Weile, nachdem wir uns kennengelernt hatten, bekam ich einen Brief von Mike, was mich – wieder einmal – aus dem Konzept brachte, denn normalerweise rief er an. Auf dem Umschlag prangte ein rotes Wachssiegel mit einem großen N.

    Mein werter James,

    falls Du es einrichten kannst, würde ich mich freuen, Dich so schnell wie möglich in Derbyshire begrüßen zu können. Glaub’ mir, die Fahrt lohnt sich – rechne nur bitte damit, dass ich Dich etwa vier Wochen am Stück brauche.

    M

    Das Einzige, was dem Brief noch beilag, waren Zugtickets und ein Zettel mit einer Adresse in Amber Valley, dazu noch ein Wort auf demselben Blatt Papier: „Nea“. Mehr nicht. Ein kryptisches Wort? „Mein werter James“? Ein handgeschriebener Brief? Vier Wochen? Zugtickets in Englands ländliche Mitte? Obwohl ich mittlerweile eigentlich das Ausmaß von Mikes Kreativität hätte kennen sollen, kam ich nicht umhin, mich zu fragen, was er dieses Mal vorhatte. Natürlich war mir klar, dass es seine Absicht gewesen war, mit seinem Brief exakt diese Mischung aus Irritation und Neugierde in mir auszulösen – und obwohl ich mich dagegen wehren wollte, gelang es mir nicht. Ich wollte herausfinden, was auf mich wartete, also packte ich sofort.

    Ich entschied mich dagegen, den Zug zu nehmen. Es mag sein, dass manche Menschen Zugfahrten durch endlose Felder entspannend oder sogar romantisch finden, doch ich bin leider keiner davon. Das Auto ist einfach meine bevorzugte Art der Fortbewegung; ich habe lieber selbst in der Hand, wann ich eine Reise beginne und wann ich eine Pause machen möchte – ich überlasse es Ihnen, darüber zu urteilen, was
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