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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni
Autoren: Grünschnabel
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Metier, besonders Föhnstürme und ganz besonders Walenseeföhnstürme .
    – Er kann richtig wild werden, der Walensee. Föhn ist hier selten, wenn er aber aufkommt, schlägt er alles. Er trägt dem See ganze Bäume zu. Die Touristen bekommen Gänsehaut von den großen Wurzeln, die aus dem Wasser ragen, sie bekommen Gänsehaut vom Wind, der das Schiff über den See jagt, und sie bekommen Gänsehaut von der Geschichte, dass nämlich hier und nirgends sonst in der Schweiz ein Dampfschiff untergegangen ist, abgesoffen mit Mann und Maus, das Ufer von Wellenbergen verschluckt und über den Wellenbergen die Churfirsten, von Wolkenbergen verschluckt, kein Steg, kein Holz, nur wütendes Wasser und ein zischender Kahn, ein heulender Sturm, seither ist den Touristen mulmig auf der Überfahrt. Schon wenn ein Lüftchen geht, wird ihnen mulmi g – zu Rech t – und sie sind froh, wenn sie den Fuß hier an Land haben oder wieder drüben, auf der andern Seite, wo sie am Sonntag die Straße verstopfen. Ja, der Wind kann hier bloß spielen, und plötzlich sticht ihn der Hafer, und der See beginnt anders zu riechen, riecht nach Tang, nach Fisch, als würde er alle Fenster aufreißen, bevor er anfängt zu kochen.
    Tante Joujou war fertig mit dem Zählen der Wörter, die ich mitgebracht hatte. Saubere Häufchen, nach Größe geordnet, mit einem Gummi drum.
    – Voilà! Und jetzt mach ich den Saibling in Folie. Frisch aus dem See. Deine Eltern werden hinausfahren und wohl noch das eine oder andere zu besprechen haben. Du kannst mir helfen mit dem Fisch.
    Der See ist nicht warm, er ist nicht freundlich, das ist er auch im Sommer nie. Dazu ist er zu unruhig, sagte mein Vater. Auch Tante Joujous Verwandte waren unruhig und unfreundlich. Sie hatten Blicke, von denen man kalte Füße kriegte und feuchte Hände. Tat sagte, dass die gleich bleibende Kälte und Scheißlaune des Sees sich auf die Leute überträgt.
    – Und wenn ich so darüber nachdenke, hatte Tat grinsend gesagt, das hat Seele. Schreib mir eine Postkarte von dort.
    Meine Mutter war seeunruhig und mein Vater auch, sie waren durch die Kerbe der Landschaft gefahren, hatten das Wasser darin gegen den Strich gebürstet, mit dem kleinen Schiff, mit dem Nauen des Onkels, dem Nachen des Vetters oder dem Boot der Tante; sie hatten sich vom Wasser anstecken lassen, am Wasser kommt hier keiner vorbei, Tat hat recht, alle werden wie der See, so saßen sie am Tisch. Wellen und Licht leckten die Decke, kühl und grün, und während das schuppige Haus in der Wärme zirpte, hatten sie bestimmt das eine oder andere besprochen, so wie sie jetzt schwiegen.
    Tante Joujou öffnete die Fenster, meine Mutter rieb sich die Schläfen.
    – Der Föhn hält nicht. Er bricht zusammen. Ihr müsst bleiben.
    Lieber Tat
    Warum ich nicht gern Postkarten schreibe: Meine Buchstaben haben keinen Platz, von Wörtern ganz zu schweigen. Im Lexikon der guten Gründe gibt es seit heute einen weiteren Grund gegen Postkarten. Der Wind hat den Kiosk in den See getragen, die Onkel fischen Postkarten, und die Fische lesen die Zeitung von gestern, kauen Kaugummi. Es ist alles voller Wasser: Der See ist übergegangen letzte Nacht, und wir bleiben einen Tag länger, obwohl das Schiff heute näher zum Haus fahren könnte, und vielleicht verstecken sich die Fische vor den Fischern Kaugummi kauend drüben auf dem Parkplatz unter dem Toyota. Sie sind hier so schlau wie Konfuzius und du gemeinsam.
    Mein Vater muss nachdenken. Meine Mutter sagt, bloß nicht zu lange, weil ich ihnen sonst in letzter Minute flöten gehe. Ruth und Walter investieren Kinder bloß in ganze Ehen, nicht in kaputte, das hatte auch die Chefin gesagt. Und Eli. Ich will nicht flöten gehen. Notfalls gehe ich zu Onkel Curdin. Von Elis Freunden kann mich keiner zu sich nehmen, sie arbeiten so schon schwarz genug.
    Tante Joujou hat nur eine einzige Uhr, und manchmal vergisst sie sogar, die aufzuziehen. Sie muss ein extra Zeitgeheimnis haben, irgendwo in den Churfirsten aufbewahrt, auch die voller Wasser, im Frühjahr schwitzen sie es aus. Ich habe Fotos gesehen mit gezackten Rändern, gezackt wie die Churfirsten, die Onkel hängen sich dort an Seilen in den Fels, wenn sie nicht fischen oder mit Kies herumfahren auf dem See.
    Der See ist ein SMALADIU GIAVEL.
    Auch ich habe nachgedacht.
    Wer alles eine Seele hat:
    Die Chefin.
    Der Hund der Chefin.
    Helene und alles, was sie kochte.
    Meine Mutter.
    Mein Vater.
    Toni, auch wenn das mein Vater nicht glauben
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