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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni
Autoren: Grünschnabel
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Vater findet keinen. Er macht Licht. Aller Schlaf ist bei Tat. Er redet im Traum mit der Tatta. Mit Sepp.
    Wir warten. Mein Vater kennt den Schlaf in vielen Sprachen.
    – Auch in Surselvisch?
    – La sien.
    Ich denke an Eli. Mein Vater sieht mich fragend an.
    Er kommt bestimmt, der Schlaf.
    – El sueño.
    – DIE BLONDIERTE HAT AUCH Zähne aus Gold.
    – Sie hat sie in die Ehe mitgebracht.
    – Hatte sie vorher keine Zähne?
    – Doch, aber keine aus Gold. Sie sind ihre Mitgift. Ihr Vater hat sie machen lassen.
    – Was ist Mitgift ?
    – So etwas wie ein Einkommen.
    – Lässt du mir auch Zähne aus Gold machen?
    – Nein.
    – Aber ich brauche auch ein Einkommen.
    – Dabei wird dir die Schule helfen.
    – Ich krieg welche von der Schule?
    – Gewissermaßen.
    – Werden uns die Deutschen auch die Zähne ziehen, wenn wir tot sind?
    – Nein. So schnell ziehen die keinem mehr die Zähne.
    – Hast du keine Angst vor ihnen?
    – Nein. Nicht mehr.
    – Hast du nie wieder Angst gehabt?
    – Doch.
    – Hast du jetzt welche?
    – Ja, jeden Tag.
    – Wovor?
    – Dass ich nicht die Kraft habe.
    – Wozu?
    – So einfach zu fragen wie Tat.
    – Wann?
    – Bei den wichtigsten Dingen.
    – ES IST KALT.
    – Dann wart doch im Wagen.
    Mein Vater kam hinter dem Busch hervor und zog den Reißverschluss seiner Hose hoch. Er schaute eine Weile auf den See hinaus. Ich drehte ihm den Rücken zu und sah an den Berg hinauf.
    – Ich mag nicht hinfahren.
    – Wir sind doch schon fast da.
    – Trotzdem.
    – Tat kommt alleine zurecht. Wir holen deine Mutter ab.
    – Trotzdem.
    – Und weshalb nicht?
    – Die mögen mich nicht.
    – Die werden dich über kurz oder lang schon mögen.
    Hätte er meine Mutter nicht weggeschickt, würden wir nicht hinfahren müssen, um sie wieder abzuholen. In dieses Dorf. Am See.
    Die Berge standen wie Backenzähne in den Himmel. Das Dorf konnte nirgendwohin wachsen. Entweder es stieß an die Wand oder es fiel in den See. Ein See wie eine Kerbe in der Landschaft, sagte mein Vater, angefüllt mit Wasser und mit Fischen drin, die so alt sind und so schlau wie Tat und Konfuzius gemeinsam. Nicht einmal eine Straße führte hin, man musste das Schiff nehmen.
    Tante Joujou war stolz auf das Wasser, seine Farbe, auf die nahen Berge im Rücken, ihr schuppiges Haus, das am Hang klebte, und auf den Wein, der dort wuchs, fast wie in Frankreich.
    Tat mochte den See nicht, die Berge nicht, es waren nicht seine, und Wasser, das stillsteht, fand er langweilig. Vom Wind bekam er Kopfweh, er nannte den Wind einen SMALADIU GIAVEL, einen verdammten Teufel, ein Wort, das im Lexikon der guten Gründe ganze Seiten füllte.
    Tante Joujous Haus sah auf den See hinaus, die Sonne brannte ihm den ganzen Tag ins Gesicht. Damit es die Augen nicht zusammenkneifen musste, hatte man ihm gleich kleine Fenster gemacht, vor denen meine Tante rote Blumen zog, welche die schönsten im Dorf waren. Ich schrieb auf: Geranien und legte sie zu PHILODENDRON, OSTERGLOCKE/NARZISSE, SCHLÜSSELBLUME, GÄNSEBLÜMCHEN, TAGETES, ASTER, WEISSDORN, SCHLEHDORN, KASTANIE, ROSSKASTANIE, TANNE, FICHTE, ZEDER, SCHWARZÄUGIGE SUSANNE, ERDBEERE, ROSMARIN, SALBEI und PFLAUMENBAUM.
    Tante Joujou hatte mit den Wörterschachteln noch nie etwas anfangen können. Sie wühlte darin und fragte:
    – Warum macht sie das? Reicht der Kopf nicht aus?
    – Und wozu hast du eine Bibel? Glaubst nicht ohne?
    Sie knurrten einander an, jeder andere wäre aus dem Haus gerannt, aber wir kannten das schon von Onkel Curdin, der von Tante Joujou noch etwas hätte lernen können, wenn es darum ging, andere Leute in Sekundenschnelle fürs Leben zu beleidigen.
    Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab, schnauzte, na gut, riss mir die Schachtel BLUMEN aus den Händen und fing an zu sortieren: SCHWARZÄUGIGE SUSANNE, OSTERGLOCKE/NARZISSE, ASTER, TAGETES, GERANIE.
    – Mach es wenigstens richtig. Gartenblumen und Wilde Blumen . Laub- und Nadelbäume . So geht das.
    – Warum hat das Haus Schuppen? Muss es schwimmen?
    – Wo denkst du hin. Das nennt sich Schindeln . Schreib.
    Tante Joujou leckte sich die Finger und zählte die Wörterzettel wie meine Mutter Tats Ersparnisse aus der Blechdose. Ich schrieb Schindeln und dachte SCHUPPEN. Immer wieder bekam der See bei Sturm Lust, die Trauben mitsamt den Stöcken vom Hang zu lecken, den Berg hinaufzusteigen, das Gras wegzuschwemmen, einen Steg, ein Haus. Tante Joujou legte sich ins Zeug, wenn die Rede auf Stürme kam, Stürme waren ihr
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