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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni
Autoren: Grünschnabel
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sagen.
    – Was hätte ich sonst tun sollen? Ich schaute weg, wenn ich sie in der Lustenau aufgabelte, oder zog sie aus dem Wasser, wenn sie sich verlaufen hatten beim Schmitter, bei der Badeanstalt oder wenn sie durchs Rohr kamen. Eine Nacht konnten sie bei uns bleiben, die Tatta gab ihnen trockene Kleider und Polenta, in der nächsten Nacht brachte ich sie zu Onkel Curdin, der hatte ein Haus und, im Gegensatz zu mir, keine Familie.
    – Ja, Onkel Curdin besuchte schon damals niemand vom Dorf freiwillig, sagte mein Vater, weil er so schnell wütend werden konnte.
    – Curdin behielt die Leute, bis sie weiterkonnten, nach St . Gallen oder Zürich. Meist wollten sie gleich weiter. Frag mich nicht, wie sie das anstellten, keine Ahnung . – Sei vorsichtig mit dem Glas. Es ist alt.
    – Lass mich einfach machen.
    Tat lehnte sich zurück. Das Glas in der Fassung klirrte, als mein Vater es wieder schloss, um die Uhr umzudrehen.
    – Wann machst du Kaffee?
    – Wenn ich mit den Uhren fertig bin. Erzähl weiter.
    Anfangs war es nicht schwierig, Flüchtling zu werden, erzählte Tat. Aber schon bald verbot es die Schweiz, weil sie unzufrieden war, dass Österreich die Juden ausnahm und sie dann Hals über Kopf in die Schweiz stolperten, egal bei welchem Wetter, mit kleinen Koffern und leeren Taschen.
    – Ich möchte jetzt wirklich einen Kaffee haben.
    Mein Vater warf Schraubenzieher und Pinzette auf das Tischchen und ging in die Küche. Tat rief ihm hinterher:
    – Mit viel Milch! Du musst sie warm machen. Und drei Stück Zucker!
    – Erzähl weiter.
    – Keiner braucht übrigens zu glauben, dass Reisen in die Schweiz gratis war. Manche verdienten hier ordentlich damit. Die Nazis hatten ihnen schon fast alles abgenommen, die Schlepper nahmen den Rest. Ich weiß nicht, was Curdin verdiente. Wenig war es nicht.
    – Was sind Nazis ? Und Schlepper ?
    Mein Vater kam mit der Kaffeemühle ins Zimmer, als Tat gerade Luft holte, um mir die Nazis zu erklären.
    – Und du? Hast du eigentlich auch verdient an ihnen?
    – Sag schon, was sind Nazis ? Und Schlepper ?
    Tat antwortete nicht. Auch er kannte den Zustand, den er meiner Mutter gern nachsagte: die Blanke-Nerven-Phase. Das konnte man an seinen zwei Farben im Gesicht sehen. Sein Kopf war rot, die Nase weiss und er kaute an seinem Schnurrbart.
    – Ich erzähl’s nur einmal.
    – Auch bloß, wie’s dir passt.
    – Du erinnerst dich an die ›Sonne‹?
    – An das Restaurant?
    – Wenn sie noch welches hatten, zählten sie dort ihr letztes Geld. Anfangs kamen sie mit ihren Familien, dann in Paaren, später kamen Kinder nach, drei Monate später, vielleicht vier. Die, die es schon hierher geschafft hatten, weckten uns nachts wegen ihrer Verwandtschaft, die sich seit Tagen am andern Ufer herumdrückte. Eltern kamen nach, ein Onkel, Tanten. Dann weckte uns niemand mehr, wir wurden von selber wach. Sie kamen immer versprengter, immer hungriger, mit Augen wie Mondseen, sage ich dir, nie hatten sie Papiere, und nur noch selten hatten sie Fotos dabei oder Pläne, wo es am einfachsten war, herüberzukommen, gleich beim Schmitter, das Wasser nur knöcheltief, die Steine glatt wie geöltes Holz, sagte Tat. Oder beim Strandbad. Wir holten sie auf der andern Seite. Es wurde doch immer gefährlicher, die Deutschen wussten das ja auch, und die Tatta machte mir die Hölle heiß, schließlich waren wir dreizehn am Tisch. Aber was hätten wir machen sollen ? – sie zurückschicken? Wohin denn? Und dann Reden schwingen in der »Sonne« wie der Dachdecker oder der Schuhmacher, die den Nazis gern in den Arsch gekrochen wären und sich schon als Gauleiter sahen?
    Ob Nazis , Schlepper und Gauleiter auch Flüchtlinge waren, die nachkommen wollten? Ich traute mich nicht zu fragen. Tat fluchte und spuckte beim Reden, sein Gebiss saß nicht sehr fest.
    – Huora cac! So eine Saubande! Die Tatta wollte sie auch nicht gehen lassen, bis sie ihnen die Hosen geflickt hatte. Aber dann mussten sie zu Onkel Curdin. Hatte Onkel Curdin keinen Platz, gingen sie über die Felder, um irgendwo irgendjemanden zu treffen, ich sah ihnen nach. Die machen mir noch heute zu schaffen, gehen durch die Träume, verschwinden und kommen in der nächsten Nacht wieder. Ich wollte ihre Namen nie wissen, jetzt wüsste ich sie gern. Manche halfen anfangs in den Erbsen, obwohl auch das verboten war.
    – Wann war anfangs?
    – Somme r 38.
    – Ich erinnere mich kaum.
    – Du warst ein Kind. Drachen steigen lassen war wichtiger. Was
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