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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin
Autoren: Frederica de Cesco
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die glatten Schultern hoch. Es war ihm gleich. Er war ein Wesen, das strahlte und gleichzeitig fern war. Und das sollte immer so bleiben.

    »Wo wohnst du?«, fragte er.
    »In Hal Saflieni, beim Paola Square.«
    Das Viertel Hal Saflieni befand sich eigentlich nur einige Straßen von dem Ruinenfeld entfernt. Damals war alles ruhig und sehr provinziell.
    Mein Vater war in dem Haus aufgewachsen, das seine Eltern nach dem Namen seiner Mutter »Villa Teresa« genannt hatten. Der Name war in geschnörkelter Schrift auf einem kleinen Keramikplättchen neben der kleinen gewundenen Treppe zur Eingangstür angebracht. Daneben standen zwei Hibisken in großen Blumentöpfen. Zu Anfang hatte Mutter das Haus gemocht, hatte sich geborgen gefühlt. Sie mochte auch die Gegend, weil alles nah und praktisch war und sie gleich um die Ecke einkaufen konnte. Das Café mit den imposanten Glastüren, den großen Spiegeln und den Sesseln aus rotem Plüsch fand sie entzückend und malerisch, bis sie bemerkte, dass dort nur Männer verkehrten. Abends trafen sich die Alten auf dem Platz vor der Kirche, die Männer spielten Boccia, die Frauen hüteten Kleinkinder und tratschten. Mutter forderte ständig Kritik heraus durch Handlungen, die man ihrer fremdländischen Erziehung zuschrieb. Sie merkte es gerade noch rechtzeitig, bevor sie zu viele Tabletten schluckte. Ihre Herkunft befähigte sie nicht, die überlieferten Ansichten der Maltesen, ihre kleinlichen Vorurteile, zu verstehen. Mutter erkannte sie lediglich und wurde unglücklich. Am schwierigsten für sie waren die Tage im Jahr, an denen Sandstürme aus Afrika einfielen. Sie kamen aus der libyschen Wüste oder aus Syrien, die Luft war von gelblichem Nebel erfüllt; es war aber nur Staub, feinster Staub. Mutter hatte dann Kopfschmerzen und Schweißausbrüche, ihr Herz raste. Sie zog alle Läden fast zu, aber der Staub drang durch die Ritzen, legte sich auf die Möbel. Vater machte dieses Klima nichts aus; der »Chamsin« oder der »Schirokko« wehten ja nur ein paar Tage, und dann war die Luft wieder sauber.

    »Und du? Wohnst du hier?«, fragte ich Giovanni.
    »Mein Vater hat da unten ein Haus.« Er wies in unbestimmter Richtung auf die fernen baumlosen Höhenzüge, wo in niedrigen Häusern, von ungepflegten Gärten umgeben, Bauern wohnten, die ihre kargen Felder bestellten. An die Oleanderbüsche längs der Wege hatte der Wind Abfall geweht, und es stank nach Kloake. Auch Zementfabriken und Lagerhäuser befanden sich dort. Es sei keine gute Gegend, sagten die Leute.
    Ich fragte Giovanni:
    »Hast du Geschwister?«
    Ich war ein Einzelkind, ein Unglück, das ich mit Vivi teilte. Die Eltern befassten sich ausschließlich mit mir. Hätte ich Geschwister, würde ich nicht für jede Dummheit allein die Suppe auslöffeln müssen.
    »Ich habe drei Brüder und zwei Schwestern!«, sagte Giovanni, wobei er leicht das Gesicht verzog.
    Ich war beeindruckt.
    »Könnt ihr zusammen zur Schule gehen?«
    Allmorgendlich sah ich mich allein den Weg zur Schule gehen, was ich sehr langweilig fand.
    Doch er schüttelte den Kopf.
    »Meine Brüder arbeiten auf dem Feld. Und meine Schwestern sind verlobt.«
    Ich war ein wenig verunsichert.
    »Gehst du auch nicht zur Schule?«
    »Doch, ich schon.«
    Was ich nach und nach über Giovannis Familie erfuhr, stank wie ein fauler Fisch in der Sonne. Seine Vorfahren waren von auswärts – sie sollten, wie man sagte, Sizilianer gewesen sein, manche vermuteten in ihnen sogar Araber – und hatten zunächst in Grotten gehaust. Der Großvater, ein notorischer Bandit und Trunkenbold, wurde Aufseher eines Lehnsgutes, das einer Abtei gehörte. Als dieses Kirchengut zum Verkauf kam, zahlte er bar und nahm das Land in Besitz. Er heiratete
die junge Tochter eines Pächters, die sanftmütig war und an nichts anderes als nur an die Liebe dachte, und starb im folgenden Winter, als er stockbetrunken überfahren wurde. Sein Vetter Emilio Russo, schön von Gesicht und äußerst arglistig, schmeichelte sich bei der jungen Witwe ein und brachte es fertig, dass Santuzza seine Frau wurde. Somit ging das Gut in Emilios Besitz über. Nach sechs Schwangerschaften und etlichen Fehlgeburten konnte Santuzza nicht mehr. Unterleibsschwäche, Senkung der Gebärmutter. Fortan schenkte Emilio ihr keine größere Beachtung mehr als den Steinen am Wegesrand. Das Land lag in der Küstenzone, gewann jährlich an Wert, aber nach außen hin lebte die Familie am Rande der Armut. Emilio Russo war ein
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