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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin
Autoren: Frederica de Cesco
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auslöste. Sie war eben ein kleiner Clown. Doch nicht nur das: Gelegentlich geschahen auch unheimliche Dinge. Das war, wenn sie die Augen verdrehte, sodass man nur das Weiße sah, wenn sie steif nach hinten auf den Boden fiel, ihr Körper wie eine zerbrochene Schlange zuckte und Spucke aus ihrem Mund tropfte. Während wir sie entsetzt anstarrten, schlug sie bereits die Augen wieder auf, setzte sich hoch und wischte sich die Spucke vom Kinn.
    »Was glotzt ihr so blöd?«
    Die Anfälle hatte sie schon als Kleinkind gehabt. Der Arzt hatte ihr Beruhigungstabletten verschrieben. Miranda wusste nie, wo sich die Tabletten gerade befanden, rannte kopflos im Haus herum, suchte in jeder Schublade. Hatte sie die Tabletten endlich gefunden, stand Viviane schon wieder auf den Beinen, schaute mit überraschten Augen um sich und hatte vergessen, was gerade geschehen war. Im Laufe der Zeit machten sich Miranda und Alexis keine Sorgen mehr. Es lag nicht in ihrer Natur, sich Sorgen zu machen. Vivianes Anfälle dauerten ja nie lange – höchstens ein oder zwei Minuten. Das sei wie bei Kindern, die asthmatisch oder mondsüchtig seien, hatte der Arzt gesagt. In der Pubertät würden die Beschwerden verschwinden. Was Miranda allerdings nicht ertrug, das waren die Geschichten von Toten und Gespenstern, die Viviane ganz unbeschwert erzählte. Dann schrie Miranda mit hysterischer Stimme: »Um Gottes willen, hör auf!«, und Alexis sagte freundlich, denn er war ganz auf Vivianes Seite: »Tu uns den Gefallen, Vivi, sonst kann Miranda heute Nacht nicht schlafen.«

    Viviane quittierte es mit einem Achselzucken. Sie war um solche Geschichten nie verlegen, es bildeten sich ja immer neue in ihrem Kopf. Die meisten waren unklar und verwirrend. Und sie wusste auch noch nicht, woher sie kamen und was sie damit anfangen sollte.

    Miranda und Alexis kam es nicht darauf an, ob sie verheiratet waren oder nicht. Sie waren es nicht. Im Sog der alten Hippie-Bewegung hatte es sie nach Malta verschlagen. Da saßen sie nun fest, führten eine kleine Pension, ein flaches Haus mit Außentreppe, Ziegeldach und eine Weinrebe neben der blau gestrichenen Tür. Die Zimmer waren dürftig eingerichtet, Waschbecken, Dusche und Klo befanden sich hinter einem Plastikvorhang. Alexis fuhr jeden Morgen mit den Fischern auf See, brachte Fische mit ganz glatter weißer Haut mit, die noch schwach nach Luft schnappten, während etwas Blut aus ihren Kiemen sickerte. Mittags sah man ihn im Hof vor dem Grill stehen, in Jeans und mit nacktem Oberkörper. Er servierte den Fisch gekocht oder gebraten, mit Gemüse und jeder Menge Kartoffeln. Die Preise waren niedrig, die Gäste – auffallend viele Homosexuelle – kamen Jahr für Jahr wieder. Miranda machte mit einem Zimmermädchen die Betten, putzte die Duschräume, schrubbte die Böden. Sie lief immer in Shorts herum, mit einer Zigarettenkippe im Mundwinkel. Abends wurde für die Gäste im Garten gedeckt. Man betrank sich, rauchte Joints, manche bevorzugten härtere Sachen, und jeder – Homo oder nicht – schlief mit jedem. Die Musik dröhnte laut, dann und wann beschwerten sich die Nachbarn. Einmal tauchten zwei finster dreinblickende Polizisten auf, die Alexis milde stimmte, indem er sie zum Essen einlud. Viviane, in dieser Umgebung aufgewachsen, war, wie ihre Lehrer es gestelzt ausdrückten, »ermüdend«. Heutzutage würde man sie wohl als »hyperaktiv« bezeichnen. Sie hatte immer schlechte Noten. Nicht, dass es ihr an Intelligenz gemangelt
hätte, sie war im Gegenteil überaus scharfsinnig. Aber sie war völlig verwahrlost; keiner war da, der Vokabeln mit ihr büffelte oder ihr bei den Schularbeiten half. Dazu kam, dass in den maltesischen Schulen streng auf Zucht und Ordnung geachtet wurde und Viviane nie still sitzen konnte, den Unterricht störte und alle Kinder mit Albernheiten zum Lachen brachte. Eines Tages kam sie mit Korkenzieherlocken in die Schule, so ausgiebig mit Spray besprüht, dass sie wie eine Perücke von ihrem Kopf abstanden. »Abscheuliche Eitelkeit!«, schimpfte Pater Jean, unser Klassenlehrer. Viviane musste ihren Kopf über ein Waschbecken halten und die ganze Pracht in Seifenschaum auflösen. Ein andermal fiel auf, dass ihr Uniformrock eine Handbreit kürzer war als vorgeschrieben. Das war, als sie sich in der Pause mit geschlossenen Augen im Kreis drehte; sie zeigte dabei ein undurchdringlich feierliches Gesicht und sah wie in Trance aus. Wir Kinder schauten hingerissen zu, neugierig, wie lange sie
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