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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin
Autoren: Frederica de Cesco
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reichte, zog mich an ihr hoch, denn ich hatte kaum noch Kraft, um ohne Hilfe auf die Beine zu kommen. Ich wusste nicht, wohin er mich führte, ich dachte an nichts, auch nicht, als er bis an den Rand der Klippen mit mir trat. Gerade an dieser Stelle waren die Felsen sehr hoch. Ich fragte Giovanni nicht nach seinen Absichten, ich folgte ihm nur, wie ich ihm immer gefolgt war. Giovanni sah mich an und lächelte. Es war bestürzend, die Seligkeit und das Frohlocken in seinem Lächeln zu sehen. Dann ließ er meine Hand los, seine Finger legten sich kurz auf meine Lippen.
    »Wirf Peter nichts vor. Ich sage es noch einmal: Es war richtig. Du weißt das, und ich weiß es. Sei gut zu Peter. Er wird dich glücklich machen. Das musste ich dir sagen, Alessa, weil du auf Erden meine einzige Liebe bist. Und so denn …«
    Und bevor ich ein Wort über die Lippen brachte, eine Geste machen konnte, die ihn zurückhielt, sprang er über den Rand, schoss in die Tiefe, wie ein schlanker Pfeil, der sich in einen grünblau blinkenden Schild bohrt. Und in dem Moment, als sein Körper die Oberfläche traf, hoben sich die kreisenden Wellen. Das schaumgeborene Auge schwebte empor, öffnete sich, zog ihn dorthin, wo das Blau in Smaragd umschlug, das Smaragd in Dunkelblau, das Dunkelblau in Schwarz. Und dann schloss sich die See über einer anderen Dimension, überzog die Schichten der vielen Zeitalter, bis zu dem Geheimnis, das schon bestand, bevor die ersten Menschen ihren Fuß auf Erden setzten.

    Und nach einer Weile, als ich mich taumelnd vor Qual nach Peter umwandte, sah ich, wie die Tränen über sein Gesicht liefen, hörte ihn schluchzen wie ein Kind.
    »Ich musste es tun, Alessa! Es ging nicht anders, verstehst du?«
    Ich sah ihn an, hörte, was er sagte, doch die Worte trafen nicht mein Bewusstsein. Eine Art Wasserhaut hatte sich auf mein Empfinden gelegt, wie ein Vorhang, hinter dem die Gedanken und Gefühle sich bewegten und wieder zur Ruhe kamen. Und dann blickte ich auf Viviane, die auf den Steinen lag. Ich dachte zunächst, sie sei vielleicht gestürzt. Ich wankte auf sie zu und rief Peter. Er kroch auf allen vieren zu ihr hin. Doch als wir uns über sie beugten, erkannten wir, dass sie schlief. Da erst fiel mir ihre besondere Stellung auf: der geneigte Kopf, der Arm, der ihn stützte, die linke Hand friedlich auf die Brust gelegt. Ihr Atem ging tief und schwer. Und mit einem Mal entsann ich mich – sie lag in der gleichen Stellung wie einst die kleine Tonfigur, die wir im Totenreich gefunden hatten. Ihre kleinen Füße lagen dicht nebeneinander, und der Stein unter ihr schien so weich wie ein Ruhebett. Und im Rhythmus ihrer wandernden Gedanken bewegten sich hinter den geschlossenen Lidern ihre Augen, während ihre Lippen Worte in einer unbekannten Sprache formten. Worte, die ein Gebet sein mochten und die einzig Viviane verstand.

1. Auflage
Taschenbuchausgabe Juni 2013 bei Blanvalet,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München.
Copyright © der Originalausgabe 2011 by Blanvalet Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: bürosüd°, München
Umschlagmotive: plainpicture/Arcangel; plainpicture/
Anja Weber-Decker; bürosüd°, München
ED · Herstellung: sam
Redaktion: Rainer Schöttle
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
    eISBN 978-3-641-13006-0

    www.blanvalet.de
    www.randomhouse.de
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