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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin
Autoren: Frederica de Cesco
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ich mit Peter zur Premiere. Hast du noch zwei Freikarten?«
    »Ja, aber kommt nicht zu spät. Viel Vergnügen«, setzte sie nichtssagend hinzu.

    Als ich ihr noch einmal zunickte, stand sie in schlechter Haltung vor dem Bügelbrett. Ihr Rücken sah krumm aus, aber das störte nur mich. Tänzerinnen sind wie Sterne, im Laufe ihrer Karriere ziehen sie alle einmal vorbei. Und dann sind sie weg, und andere Sterne gehen am Bühnenhimmel auf. Im Untergeschoss des Theaters, wo es still und wohltuend kühl war, wollte Mutter nicht mehr daran denken und ganz für sich sein. Eine Art gefesselte Andromeda, mit umwölkter Stirn. Einige Atemzüge lang stand ich unschlüssig da, doch ich fand nichts, was noch hätte gesagt werden müssen, drehte mich um und ging. Mit vagem Erschrecken stellte ich mir vor, dass ich eines Tages so werden könnte wie sie. Aber nein – ich war anders. Eine andere Generation auch, das kam hinzu. Ich ging scharfen und eckigen Schatten nicht aus dem Weg, sondern zerschlug sie mit bloßer Hand, auch wenn die Finger dabei bluteten. Ich trug die Scherben einer Utopie in mir, aber aus den Trümmern ließ sich ein Leben aufbauen, das sinnvoll war. Es reichte, fand ich, wenn ich meine Gedanken, Zweifel und Erkenntnisse mit Peter teilte, dass ich gut zu ihm war, dass wir Seite an Seite gingen, umfangen von Empfindungen, die ganz verschmolzen waren mit frühen Erinnerungen und Träumen. Ja, es gab nur eine einzige Geschichte, die erzählt werden musste. Und sie handelte von vier Kindern, die am Strand spielten und sich in Grabkammern verloren. Die anderen mochten in dieser Geschichte ein fantastisches Durcheinander sehen, wir aber sahen in ihr die unverfälschten Elemente unseres Lebens. Und es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass Giovanni dieses Leben gekannt hatte, dass es Teil seiner selbst geworden war. Er hatte das Schicksal auf sich herabgerufen, jeder andere wäre daran zerbrochen. Weil Giovanni aber das Gleichgewicht zwischen Wirklichkeit und Schein bewahren konnte, hatte er sich diesem Schicksal nie blind unterworfen. Bis zu jenem Ende, das eigentlich ein Anfang war, hatte er es zu halten und zu lenken gewusst, mit fester, sicherer Hand.

3. Kapitel
    D ie Kinder also. Am Anfang waren wir nur zu dritt. Als ich Giovanni zum ersten Mal sah, kauerte er auf einem Stein, in den Ruinen von Tarxien. Es war Frühling, die Luft roch nach Minze, der Stechginster öffnete seine ersten gelben Blüten. Hitzedunst fiel senkrecht vom Himmel. Das Rund hoher Steine war einst unter Erdschichten verborgen gewesen; man hatte die Steine ausgegraben, wieder aufgestellt. Auf den Ruinen waren noch Spuren von Feuersbrünsten sichtbar und Reste von Farben. Unter dem wuchernden Unkraut erzählte jeder Stein eine andere Geschichte. Der Junge, den ich plötzlich erblickte, glich einem zu Fleisch und Blut gewordenen Bild aus der Vorzeit, einem jugendlichen Gespenst des Ortes. Wie eine Katze kauerte er auf einem Stein, trug eine schreckliche Hose und ausgetretene Sandalen. Er war mit irgendetwas beschäftigt, das seine ganze Aufmerksamkeit gefangen nahm. Doch irgendetwas – vielleicht ein Geräusch oder auch nur mein stummes Ihn-Anstarren – machte, dass er meine Anwesenheit bemerkte. Jedenfalls hob er den Kopf und lächelte mich an. Und da wurde es in mir ganz still. Ich stand unbeweglich, mit angehaltenem Atem, bis die Grenze zwischen mir und dem anderen fiel, und endlich kam Bewegung in mich. Wie verzückt, und gleichsam in tiefer Unruhe, ging ich auf den fremden Jungen zu, während die Umrisse seiner Gestalt sich füllten, leuchtende Körperlichkeit erkennen ließen, sein Lächeln deutlicher hervortrat und die Festigkeit der ihn umgebenen Dinge annahm. »Was machst du da?«, fragte ich.

    »Ich rette Ameisen«, sagte er. »Sie geben sich so viel Mühe, klettern den Stein hinauf. Und hier oben hat sich Wasser angesammelt, und fast alle ertrinken, das ist ungerecht!«
    »Ach, das sind ja nur Ameisen«, sagte ich geringschätzig.
    »Ja, aber sie sind klug. Sie bauen Gänge in der Erde, nach oben, nach unten, ganze Burgen haben die Ameisen gebaut. Drüben, bei den Korkeichen, da gibt es einige. Hast du die nie gesehen?«
    Ich verneinte, wobei ich mich an dem Stein hochzog. Er rückte ein wenig zur Seite, sodass ich neben ihn klettern konnte. Ich zitterte vor Aufregung. Hinter einer Wegbiegung der Zeit hatten wir uns endlich gefunden. Natürlich sah auch er mich zum ersten Mal, aber ich fühlte mit jedem Atemzug deutlicher, wie
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