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MondSilberLicht

MondSilberLicht

Titel: MondSilberLicht
Autoren: Marah Woolf
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sich auf einer Brücke überschlagen und ist in den Potomac gestürzt. Sie ist ertrunken. Wir konnten sie nur noch tot bergen.“
Das musste ein Irrtum, eine Verwechslung sein. Meine Mutter hatte immer Todesangst vor jeglichem Wasser gehabt, das nicht aus einer ordentlichen Leitung kam. Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Ich musste etwas sagen, ihnen erklären, dass sie sich irrten. Sicher war Mom nur schnell zum Supermarkt gelaufen, um mir meine geliebten Samstagscroissants zu kaufen. Gleich würde ich hören, wie sich ihr Schlüssel in der Tür drehte. Doch kein Wort kam über meine Lippen.
„Wir möchten dich nicht allein lassen“, ergriff die Blonde wieder das Wort. „Können wir jemanden anrufen, der sich um dich kümmert?“
Ich schüttelte mechanisch den Kopf. „Da gibt es niemanden.“
„Kannst du nicht zu einer Freundin?“ Ich griff nach meinem Handy und suchte Jennas Nummer heraus, dann gab ich das Telefon an die Brünette weiter. Jenna Stewart, meine beste Freundin, sie würde mich retten. Wie durch dicke Watte lauschte ich dem Gespräch. Einige Wortfetzen drangen zu mir durch. Unfall. Tod. Allein.
Es dauerte keine halbe Stunde und Jenna stand mit ihren aufgelösten Eltern vor der Tür. Im Gegensatz zu mir konnte Ms. Stewart nicht aufhören zu weinen. Die beiden Polizistinnen wirkten erleichtert, als sie die Verantwortung für mich los waren. Mir blieb nichts anderes übrig, als ein paar Sachen zu packen und mit zu den Stewarts zu fahren. Auf das Drehen des Schlüssels im Türschloss hatte ich vergeblich gewartet.

An den Tagen, die nun folgten, dachte ich, dass es sich hier um einen meiner allzu realistischen Albträume handeln müsse. Allerdings wachte ich nicht auf, der Traum ging einfach immer weiter.
Es war klar, dass ich nicht ewig bei den Stewarts bleiben konnte, ihre Wohnung war für eine zusätzliche Person zu klein. Es gab da nur ein Problem: Ich hatte niemanden, zu dem ich gehen konnte. Ich hatte keine Verwandten in den Staaten, keine Tanten, keine Onkels und erst recht keine Großeltern. Ich wusste ja nicht einmal, wer mein Vater war.
Es kam nur mein Onkel in Frage. Mein Onkel in Schottland.
Schottland, von dort war meine Mutter fortgegangen, kaum dass ich geboren war. Siebzehn Jahre war das her und sie war nie zurückgekehrt.
Als ich, wenige Tage nach Moms Tod, mit Jenna und ihrer Mutter in unsere Wohnung fuhr, suchte ich aus Moms Notizbuch seine Adresse und Telefonnummer heraus und gab sie Ms. Stewart. Langsam ging ich durch jeden einzelnen Raum. So wenige Tage ohne Mom und mich und die Räume wirkten seltsam verlassen. Die Luft war abgestanden und Staub hatte sich auf die Schränke und Tische gelegt. Das war schon nicht mehr das zu Hause, das ich kannte. Ich fühlte mich wie eine Fremde. Ich zerrte zwei Reisetaschen aus dem Schrank und warf alle Dinge hinein, die mir wichtig waren. Meine Klamotten, meine Malsachen, meine Bilder, meinen Pass ich hatte es eilig, von diesem Ort zu verschwinden. Zum Schluss griff ich nach meiner Gitarre und schleppte alles zum Auto. Den Rest würde die Wohlfahrt erledigen. Zum Abschied warf ich einen Blick nach oben, zu den Fenstern, an denen ich so oft gestanden hatte, um das pulsierende Leben zu meinen Füßen zu betrachten.

Eine Woche nach Moms Beerdigung kam sein Brief.  Nur widerstrebend öffnete ich ihn. Wie erwartet bat mein Onkel mich, zu ihm und seiner Familie zu kommen, um bei ihnen zu leben. Ich starrte auf eine der bunten Blumen auf der Tapete in Jennas Zimmer.
Nur zu gern hätte ich den Abschied von meinem früheren Leben weiter hinausgezögert. Nur zu gern wäre ich bei Jenna geblieben. Doch nachdem unsere Wohnung aufgelöst und meine Mom beerdigt war, gab es keinen vernünftigen Grund mehr, länger zu bleiben. Jenna flehte ihre Eltern an, dass sie mich bei sich behalten sollten, doch wir alle wussten, dass dieser Wunsch zu unrealistisch war, um erfüllt zu werden.
Also blieb mir nichts anderes übrig, als mit den Tickets, die mein Onkel mir geschickt hatte, ans andere Ende der Welt zu fliegen.

Als das winzige Flugzeug landete, war es draußen stockfinster. Ich griff nach meinem Rucksack und wartete, bis die beiden anderen Passagiere das Flugzeug verlassen hatten. Erst als der Pilot fragend auf mich zukam, stand ich auf, zupfte mein Poloshirt zurecht, zog meine Jacke an und verließ das Flugzeug, das diesen Namen kaum verdiente. Seit über zwanzig Stunden war ich jetzt unterwegs, zuletzt, mit dieser fliegenden Schuhschachtel,
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