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Ueberdosis

Ueberdosis

Titel: Ueberdosis
Autoren: Thomas Ziegler
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    Es war ein schlechter Tag gewesen, eine Ansammlung banaler Katastrophen, und als Alfred Laschke am Kölner Hauptbahnhof aus dem Taxi stieg und durch den strömenden Regen zur verglasten Bahnhofshalle eilte, sah es nicht so aus, als hätte er den Tiefpunkt bereits erreicht.
    Der Platzregen durchweichte seinen hellen Sommermantel, die schmutzigen Pfützen durchtränkten seine Lederschuhe, und kurz vor den beschlagenen Glastüren stieß er mit einer Frau zusammen, die ihren Regenschirm wie einen Schild vor sich hielt. Laschke stolperte, und sein Aktenkoffer mit den Finanzierungsunterlagen für das Multi-Millionen-Projekt Villenpark 2000 landete in einer großen Wasserlache.
    Er stöhnte auf.
    Hoffentlich war der Koffer wasserdicht.
    Aber er wußte, daß seine Hoffnung ihn trog.
    Dies war ein Tag der enttäuschten Hoffnungen, ein Tag voller Tücken und Fallstricke. Murphys Gesetz, dachte Laschke. So hieß er doch, dieser Amerikaner, dieser Ingenieur Murphy, der das Gesetz von der Unabwendbarkeit jeder theoretisch denkbaren Katastrophe formuliert hat: Alles, was schiefgehen kann, geht auch schief.
    Er fischte den Aktenkoffer aus der Pfütze und trocknete ihn notdürftig mit seinem Taschentuch ab.
    Ich bin der lebende Beweis dafür, daß Murphys Gesetz richtig ist, dachte er deprimiert. Nicht nur, weil heute morgen der Wagen nicht ansprang und ich mit der Bahn nach Köln fahren mußte – und natürlich zu spät zu der entscheidenden Besprechung mit den Leuten vom Investmentfonds kam, sondern vor allem weil mein sorgfältig ausgearbeitetes Finanzierungskonzept einen winzigen, aber katastrophalen Fehler hat: Es gibt keinen Geldgeber, der sich dafür interessiert. Ade, Villenpark 2000! Ade, Zukunft! Statt ein Multi-Millionen-Projekt für Millionäre abzuwickeln, werde ich wieder heruntergekommene Altbauwohnungen an Studenten und Sozialhilfeempfänger vermitteln, während vor meinem Büro die Schwebebahn im Fünfminutentakt vorbeiquietscht und mich langsam, aber sicher in den Wahnsinn treibt …
    Er wollte sich abwenden, aber jemand hielt ihn am Arm fest.
    Er drehte sich um. Es war die Frau.
    »Das ist ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit«, fauchte sie. »Zuerst mich brutal anrempeln, und sich dann klammheimlich aus dem Staub machen! Wollen Sie sich nicht entschuldigen? Wissen Sie nicht, was sich gehört? Haben Sie denn überhaupt keinen Funken Anstand?«
    Er starrte sie an. Sie war klein, gedrungen, eher muskulös als dick. Hatte wohl ihr Leben lang Sport getrieben, Gewichtheben oder Hammerwerfen! Und ihr Gesicht besaß harte, männliche Züge. Anabolika, dachte Laschke; das ist es doch, was diese Sportlerinnen zur Leistungssteigerung nehmen. Muskelbildende Präparate, die Frauen in halbe Männer verwandeln.
    Die Frau fuchtelte drohend mit ihrem Regenschirm. »Ich verlange eine Entschuldigung, junger Mann. Sofort!«
    Junger Mann. Er war achtundvierzig. Und von diesen achtundvierzig Jahren hatte er fast dreißig mit dem Versuch verbracht, in der Immobilienbranche reich zu werden. Aber sein Kontostand war noch immer nicht der Rede wert.
    »Ich warte nicht mehr lange, junger Mann!«
    Laschke riß sich los. »Scheren Sie sich zum Teufel«, sagte er grob und stieß die Glastür zur Bahnhofshalle auf.
    Im Innern war es feucht und kalt, und durch das Stimmengewirr der Reisenden und das hohle Plärren der Lautsprecherdurchsagen hörte er, wie die Frau ihm wütend etwas nachschrie. Er drehte sich nicht um. Den Blick starr nach vorn gerichtet, drängte er sich an einer Gruppe junger, müde wirkender Rucksacktouristen vorbei und blieb vor den Kästen mit dem Fahrplanaushang stehen, die in unmittelbarer Nähe der Fahrkartenautomaten den Weg versperrten.
    Er sah auf die Uhr. Kurz nach fünf.
    Der Intercity Hellweg nach Wuppertal war soeben eingetroffen.
    Wenn er sich beeilte …
    Nein, dachte Laschke. Keine Hektik. Für heute habe ich genug Hektik gehabt. Und es spielt keine Rolle, ob ich eine Stunde früher oder später in Wuppertal bin. Nichts spielt eine Rolle. Das Villenpark- Projekt ist geplatzt. Endgültig. Einen Haufen Unkosten – das ist alles, was mir die Sache eingebracht hat. Und jetzt habe ich nicht einmal mehr genug Geld, um den verdammten Wagen reparieren zu lassen. Wahrscheinlich ist der Motor hinüber. Außerdem ist der ganze Unterboden durchgerostet. Ich brauche ein neues Auto, aber woher soll ich das Geld nehmen?
    Laschke wandte sich ab und ging am Blumengeschäft und der zur U-Bahn führenden Treppe
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