Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueberdosis

Ueberdosis

Titel: Ueberdosis
Autoren: Thomas Ziegler
Vom Netzwerk:
erkannte Laschke. Ich bin achtundvierzig. Wenn ich es mit achtundvierzig noch nicht geschafft habe, dann schaffe ich es nie.
    Draußen rauschte der Regen.
    Laschke stand auf und ging an den Tischen und Pflanzenkübeln vorbei zur Toilette. Als er die Toilettentür öffnete, prallte er mit einem bulligen, südländisch wirkenden Mann zusammen. Der Mann knurrte etwas Unverständliches, und für einen Moment sah Laschke einen Goldzahn zwischen den schmalen Lippen des andern aufblitzen, aber dann war der Mann auch schon an ihm vorbei und hinter der Biegung verschwunden.
    »Idiot!« rief ihm Laschke nach. »Verdammter Kanake!«
    Leise vor sich hinfluchend, betrat er den Waschraum und blieb kurz stehen, um sich im Spiegel zu betrachten. Sein Haar war schwärz, ohne eine einzige graue Strähne, und man mußte schon ein sehr scharfer Beobachter sein, um zu erkennen, daß es gefärbt war. Sein Gesicht war füllig, vielleicht ein wenig aufgedunsen, doch die energisch gekrümmte Nase und der entschlossen wirkende Blick seiner dunklen Augen verwischten die Spuren eines ausschweifenden Lebens.
    Der Blick war gut; der Blick war sogar sehr gut. Er verlieh ihm etwas Selbstbewußtes, Dynamisches.
    Laschke grinste.
    Schließlich hatte er ihn lange genug geübt.
    Er wandte sich ab und öffnete die Tür zum Toilettenraum. Drei Kabinen, die erste war unbesetzt, und er griff nach der Klinke.
    Laschke hörte ein Stöhnen.
    Er verharrte, horchte. Nichts. Offenbar hatte er sich getäuscht. Nein – da war es schon wieder. Es drang aus der letzten Kabine. Ein ersticktes Stöhnen, ein Röcheln fast. Beunruhigt trat er näher.
    »Hallo?« sagte er. »Ist da jemand? Haben Sie Schwierigkeiten? Brauchen Sie Hilfe?«
    Keine Antwort. Nicht einmal mehr das Stöhnen. Stille. Doch als er sein Ohr an die Tür preßte, glaubte er, röchelnde Atemzüge zu hören. Vielleicht war jemand ohnmächtig geworden.
    Herzinfarkt, dachte Laschke. Der Alptraum eines jeden Geschäftsmanns in meinem Alter.
    »Hallo?« sagte er wieder.
    Seine Hand lag auf der Klinke, aber er drückte sie nicht nach unten. Was sollte er tun? Die Toilettenfrau rufen? Einen Krankenwagen alarmieren? Er schnitt eine Grimasse. Das Stöhnen konnte auch eine harmlose Ursache haben. Manche Leute machten eben Geräusche, selbst wenn sie auf einer öffentlichen Toilette …
    Die Klinke gab unter dem Druck seiner Hand nach, und die Tür schwang auf. Sie war nicht versperrt gewesen. Dann traf sie auf Widerstand, und Laschke erhaschte einen Blick auf die Beine eines Mannes. Der Mann lag auf dem Boden. Laschke stieß die Tür weiter auf und steckte den Kopf durch den Spalt.
    Es dauerte eine Weile, bis er begriff, was er sah.
    Der Mann war noch jung, zwanzig oder zweiundzwanzig, auf keinen Fall älter. Geschmackvoll gekleidet. Weiße Leinenhose, teurer weißer Pullover, Kaschmir, zweifellos Kaschmir. Blondes, modisch frisiertes Haar. Ein hübsches Gesicht. Ein Gesicht, auf das die Frauen flogen. Auch wenn es jetzt schlaff und weiß wie Elfenbein war.
    Laschkes Blick kehrte zum Kaschmirpullover zurück. Der linke Ärmel war hochgekrempelt und enthüllte eine goldene Uhr.
    Eine Rolex, dachte Laschke. Sehr teuer, mindestens zwei- oder dreitausend Mark wert. Wenn es keine Imitation ist.
    Aber es war nicht die Uhr, die seinen Blick bannte, sondern der Gürtel, mit dem der Oberarm abgebunden war, und die Spritze, die noch in der Armbeuge steckte.
    Ein Rauschgiftsüchtiger, dachte Laschke. Ein Junkie. Und er ist bewußtlos. Eine Überdosis! Gott, und dabei ist er noch so jung.
    Laschke hob sich durch den Türspalt und kniete neben dem jungen Mann nieder. Er atmete noch, aber nur ganz flach, kaum merkbar. Laschke löste sich aus seiner Erstarrung, fuhr hoch und stürzte in den Waschraum. Neben der Ausgangstür, an dem kleinen weißen Tisch mit dem Teller voller Fünfzigpfennigstücke, stand jetzt eine verhärmt wirkende Frau in einem langen weißen Kittel. Die Toilettenfrau.
    Sie starrte ihn verwirrt an.
    »Schnell!« schrie Laschke. »Wir brauchen einen Krankenwagen! Rufen Sie einen Krankenwagen! Da hinten liegt jemand … bewußtlos, ein junger Mann, er hat Rauschgift genommen, Heroin, er stirbt … Wir brauchen einen Krankenwagen!«
    Die Frau bekreuzigte sich. »Jesus Christus«, sagte sie. »Jesus Christus!«
    Laschke riß die Tür auf und schob sie hinaus. »Beten Sie nicht, laufen Sie zum Telefon und rufen Sie einen Krankenwagen. Und machen Sie schnell, verdammt noch mal!«
    Sie stolperte davon.
    Laschke
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher