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Ueberdosis

Ueberdosis

Titel: Ueberdosis
Autoren: Thomas Ziegler
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stürzte zurück in den Toilettenraum.
    Mund-zu-Mund-Beatmung, dachte er. Vielleicht hilft das. Gott, was für eine elende Art zu sterben! Auf dem Boden einer Toilette. In diesem Alter, Junkie-Tod. Man liest immer in den Zeitungen davon, aber es selbst zu sehen, mit eigenen Augen, es selbst zu erleben … Was für ein Tag, dachte er. Was für ein Tag …
    Als er erneut neben dem jungen Mann niederkniete, atmete er nicht mehr. Das elfenbeinweiße Gesicht war jetzt grau und die Lippen hatten sich bläulich verfärbt.
    Er stirbt, durchfuhr es Laschke. Er ist tot.
    Er versuchte es trotzdem mit Mund-zu-Mund-Beatmung. Nicht sehr geschickt, schließlich war es Jahre her, daß er an einem Erste-Hilfe-Kursus teilgenommen hatte, aber er versuchte es trotzdem.
    Ohne Erfolg.
    Er schauderte zurück.
    Was für ein Idiot, dachte er von plötzlicher Wut erfüllt. Warum hat er das gemacht? Warum, zum Teufel, hat dieser verdammte Idiot dieses verdammte, mörderische Zeug genommen? Um mit zwanzig auf einem Bahnhofsklo zu verrecken?
    Sein Blick wanderte zu der Spritze, verharrte kurz, wanderte weiter zum Handgelenk, zur goldenen Uhr.
    Er starrte die Uhr an.
    Himmel, wie kam ein Junkie an eine Rolex? Geklaut, bestimmt geklaut. Oder der Bursche war ein Dealer. Er war bestimmt ein Dealer. Wie hätte er sich sonst die teure Uhr und die teure Boutiquenkleidung leisten können?
    Laschke nickte unwillkürlich.
    Ein verdammter Dealer, der Dutzende oder Hunderte von anderen jungen Leuten ins Elend oder in den Tod getrieben und den nun das wohlverdiente Schicksal ereilt hatte.
    Die Uhr … Sie war mindestens Zweitausend wert. Zweitausend. Und der Tote konnte mit ihr nichts mehr anfangen. In der Ewigkeit – oder der Hölle – gab es für Uhren keine Verwendung.
    Laschke dachte an seinen Wagen, an den Motorschaden, den verrosteten Unterboden. Er streifte dem Toten die Rolex ab und ließ sie in der Innentasche seines Jacketts verschwinden.
    Als die Sanitäter kamen, war er wieder mit der Mund-zu-Mund-Beatmung beschäftigt.
    Aber es war ein schlechter Tag. Es war wirklich ein schlechter Tag. Vor allem für den Jungen mit dem hübschen Gesicht und den toten Augen.

 
2
     
    Das Café Regenbogen lag in einem leicht heruntergekommenen Eckhaus in Köln-Sülz, einem der aufstrebenden Viertel der Stadt. In allen Straßen waren Spekulanten und abschreibungsbesessene Zahnärzte damit beschäftigt, die Studenten, Lebenskünstler und alten Leute aus ihren billigen Altbauwohnungen zu vertreiben, aber das Café war von den Luxussanierern bisher übersehen worden, und vielleicht gefiel es Markesch deshalb so gut.
    Vielleicht aber auch, weil sich im Regenbogen die hübschen Studentinnen von der nahegelegenen Universität trafen und bei Kaffee und billigem Wein auf die Semesterferien warteten. Das Café gehörte einem Griechen, der sich Archimedes nannte und mit seinen dunklen Augen, dem schwarzen Bart und dem schwarzen Lockenhaar wie ein junger hellenischer Gott aussah.
    Als Markeschs wichtigster Kreditgeber war er tatsächlich eine Art Gott. Nur sein Name war erfunden. In einer langen Nacht voller Ouzo und Retsina hatte er verraten, wie er wirklich hieß, aber Markesch konnte sich nur daran erinnern, daß der Name aus schätzungsweise zweiundneunzig Silben bestand und für eine zivilisierte mitteleuropäische Zunge völlig unaussprechlich war.
    Also bleiben wir bei Archimedes, dachte Markesch verdrossen. Der Mann, der den Flaschenzug erfunden hat. Und der nach über zweitausend Jahren in die Welt zurückgekehrt ist, um jede Flasche in einem Zug auszutrinken.
    Er griff nach seinem Scotch und sah zu der langbeinigen Blondine hinüber, die ihren hautengen Pullover immer wieder straff nach unten zog, wie um allen männlichen Gästen zu beweisen, daß sie sogar im Schnürkorsett jeden Busenwettbewerb gewinnen konnte. Sie saß allein an einem der Tische dicht an der Fensterbank mit den üppig wuchernden Topfpflanzen, Kölns erstem und einzigem Privatdschungel. Alle paar Sekunden spähte sie durch das Dickicht hinaus auf die Straße, wo die Autos wie überdachte Rettungsboote durch die Pfützen brausten. Der Regen der letzten Tage hatte sich gegen Abend zu einer Sintflut entwickelt, und Markesch fragte sich, wann die Berrenrather Straße zu einem Nebenarm des Rheins werden würde.
    Wahrscheinlich noch vor Morgengrauen, dachte er, wenn nicht irgend jemand den Stöpsel aus der Stadt zieht.
    Aber ihm gefiel der Regen.
    Wenn Köln schon untergehen sollte, dann durch eine
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