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Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

Titel: Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
Autoren: Wolfgang Schorlau
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3. Stuttgart, nachts
    1000 Watt starkes, gleißendes Licht schneidet durch seine Augenlider.
    Gleichzeitig pendelt die Zellentüre mit kreischenden Scharnieren hin und her, schlägt krachend ins Schloss, schwingt mit einem Höllenlärm wieder auf und donnert zurück. Über der Tür hängt eine Fledermaus und schaut ihn an. Er liegt auf der Pritsche und kann sich nicht bewegen. Ist er gefesselt? Er weiß es nicht. Sie beugen sich über ihn. Alle sind sie da. Der Präsident, Dr. Scheuerle und die anderen Abteilungsleiter. Die gesamte Führungsriege des Bundeskriminalamtes beugt sich über ihn, die Gesichter verzerrt. Warum schreien sie so laut? Dengler versucht sich aufzurichten und kann es nicht. Kein Muskel gehorcht seinem Kommando. Er verdoppelt seine Anstrengung – vergeblich. Alle brüllen auf ihn ein. Das Geschrei und das Getöse sind unerträglich.
    »Hast du heute schon gelogen?«
    Er versucht einen Arm zu heben.
    »Hast du heute schon gelogen?«
    Er kann sich nicht rühren.
    »Hast du heute schon gelogen?«
    Er will sich aufrichten.
    Er will fliehen.
    Keine Chance.
    Sie brüllen.
    Die Scharniere quietschen.
    Er hat Angst.
    Er bekommt keine Luft.
    Er erstickt.
    Er bekommt keine Luft mehr.
    Er stirbt.
    Mit aller Gewalt reißt er den Oberkörper nach vorn, und endlich: Die Fesseln reißen, und er richtet sich auf der Pritsche auf.
    Erwacht.
    Das Hirn ist leer. Er weiß nicht, wo er ist. Er weiß nicht, wer er ist. Er hört jemanden laut keuchen. Es dauert eine Ewigkeit, bis er begreift, dass er es selbst ist. Georg Dengler sieht sich um. Ein beißender Geruch liegt im Raum – sein eigener, stinkender Angstschweiß. Langsam setzt er sich aus einzelnen Puzzleteilchen wieder zusammen.
    Ich bin kein Polizist mehr.
    Ich arbeite nicht mehr beim BKA .
    Es ist vorbei.
    Ich muss nicht mehr lügen.
    Die Scharniere quietschen weiter.
    Er liegt nicht in einer Zelle. Er ist in seiner Wohnung. Es ist keine Pritsche. Es ist sein Bett. Er atmet ruhiger. Aber noch immer schmerzt seine Brust wie nach einem langen Lauf in klirrender Kälte.
    Regentropfen trommeln gegen das Fenster.
    Die quietschenden Scharniere lärmen weiter. Ihr schriller Ton verwandelt sich jetzt in das aufdringliche Klingeln des Telefons. Er stützt den Kopf in beide Hände und sieht das Telefon auf dem Tisch blinken und läuten, er reißt die Bettdecke zur Seite und torkelt hinüber zum Tisch, nimmt den Hörer ab.
    »Dengler.«
    »Georgjetztmusstdudichmalkümmern.«
    Er legt den Hörer auf.
    Doch sofort klingelt es erneut. Er schließt die Augen und nimmt den Hörer ein zweites Mal ab.
    »JakobistschonseitdreiTagenwegunderhatsicherst
zweimalbeimirgemeldet. Dastimmtdochwasnicht.«
    Tief Luft holen. Zwerchfellatmung. Sich beruhigen. Das immerhin hat er bei der Polizei gelernt.
    Er schmeckt die Schweißtropfen in seinen Mundwinkeln, spuckt sie aus.
    »Hildegard! Bist du wahnsinnig? Es ist drei Uhr. Mitten in der Nacht! Hast du getrunken?«
    »Ich bin so nüchtern wie du. Aber ich bin verrückt vor Sorge. EslässtmireinfachkeineRuhe. Jakobmeldetsichnicht. UndseinHandyhaterabgestellt. DasisteinfachnichtseineArt.«
    »Er macht Urlaub. Mein Gott, Jakob ist achtzehn. Hast du dich mit achtzehn jeden Tag bei deiner Mama gemeldet? Er ist mit seinen Kumpels verreist.«
    Dengler setzt sich auf den alten Holzstuhl, auf dem seine Kleider liegen. Er spürt, wie ihm der Schweiß über den Rücken läuft.
    »Aber trotzdem, ich meine, dasistdochnichtnormal. SoistderJakobdochnichtdassersichüberhauptnichtmeldet.«
    »Hildegard, ruf mich nie wieder um diese Uhrzeit an. Nie wieder! Unser Sohn ist erwachsen. Er ist in Barcelona. Interrail. Ruf mich nie wieder um diese Zeit an.«
    »Du musst dich kümmern. Versprichmir, dassdudichjetztauchmalkümmerst. DuhastdichnochnieumunserKindgekümmert. Immermussteichallesganzallein …«
    Wütend drückt er die rote Taste, legt den Hörer zur Seite und wankt ins Bett zurück.
    Es klingelt noch zweimal.
    Er liegt mit offenen Augen auf seinem Bett und starrt in das Dunkel. Was ist das für ein Leben, in dem ein Albtraum den anderen jagt.
    Typisch Hildegard. Sie kann ihren Sohn nicht loslassen. Sie denkt, Jakob mit achtzehn Jahren sei immer noch der liebe kleine Bub. Abhängig von ihr. Aber Jakob wird erwachsen. Damit kommt meine großartige Exfrau nicht zurecht. Aber ich bin hier der falsche Ansprechpartner. Du hast mich verlassen, meine Teure. Gott sei Dank – bin darüber hinweg. Und jetzt, nach all den Jahren, habe ich absolut keine Lust
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