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Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

Titel: Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Stimme aus dem Walkie-Talkie: »Leute, alles klar: Gefahr vorüber.«
    Sie stehen auf. Jakob klopft sich die Nässe von der Hose.
    Weiter. Drei Schatten in einer dunklen Nacht. Sie biegen von der Landstraße in die Zufahrt zu dem Gehöft ein.
    Jetzt riechen sie die Anlage. Der stechende Ammoniakgeruch liegt wie eine unsichtbare Mauer vor den Gebäuden. Bestialischer Gestank. Im Gehen binden sie sich die Schutzmasken vor den Mund. Jakob atmet durch den Mund ein.
    Das Widerlichste, was ich je gerochen habe.
    Er sieht sich nach Laura um. Sie steht aufrecht hinter ihm und verknotet mit beiden Händen die Atemmaske hinter ihrem Kopf.
    Sie blinzelt ihm zu. Wie schön sie ist.
    Er hört, wie Laura leise in das Walkie-Talkie spricht: »Wir betreten jetzt die Anlage.«
    »Verstanden«, tönt Cems Stimme blechern aus dem Lautsprecher.

5. Rückblende: Kimi in der Schlachterei
    Als Adrian das Messer aus der Hand legt, weiß Kimi genau, was sein Freund denkt. Er sieht es an der Sorgfalt, mit der er die Klinge an dem Tuch abwischt, an der Behutsamkeit, mit der er es in den Messerkorb zurückschiebt, und vor allem an dem langen, fast geistesabwesenden, verhangenen Blick hinter seinen langen, schönen Wimpern. Ja, er sieht an diesem Blick, mit dem Adrian zu Kimi und Vasile hinüberschaut, dass es jetzt genug ist. Adrian ist sein Freund, mehr noch, er ist für ihn wie ein Bruder, wie der ältere Bruder, den er sich immer gewünscht hat. Ohne Adrian hätte Kimi in Deutschland sich nie zurechtgefunden. Adrian hat ihm gezeigt, wie die Dinge hier laufen. Er brachte ihm Deutsch bei. Ohne ihn hätte er schon längst aufgegeben.
    Gestern Nacht saßen sie alle um Kimis Bett: Adrian natürlich, aber auch Viktor, Dane, Livin und Vasile, die im gleichen Raum wie Kimi schlafen. Sie haben seit zwei Monaten kein Geld bekommen. Sie wissen nicht, ob sie im Mai bezahlt werden. Sie wissen überhaupt nicht, wie es weitergeht.
    Sie haben Toma gefragt, den Vorarbeiter: Warum bekommen wir kein Geld? Toma, den Adrian nur den Capo nennt: den Aufpasser. Toma ist Rumäne wie sie. Aber er hilft ihnen nicht. Er hat nur mit den Schultern gezuckt. Face muncg , hat er gesagt, macht eure Arbeit. Das haben sie getan. Sie haben ihre Arbeit gemacht. Harte Arbeit. Sie haben sich nie beschwert. Toma hat ihre Pässe eingesammelt. Auch darüber haben sie sich nicht beschwert. Sie haben sich nicht beschwert, wenn sie nachts aus den Betten geholt wurden. Nachts um zwei, manchmal um drei, manchmal um vier. Dann sind sie, schlaftrunken, hinüber in die Fabrik gewankt. Es sind ja nur fünfzig Meter. Dann haben sie gearbeitet, manchmal nur zwei Stunden, manchmal nur drei Stunden. Am Morgen oder am Mittag begann eine neue Schicht.
    Sie haben die Schweine in den Paternoster getrieben, der sie zehn Meter tief in den Keller und ins Gas brachte, sie haben die betäubten Tiere an den Hinterläufen aufgehängt, nachdem sie aus dem Auszug gefallen waren, ihnen die Kehle aufgeschnitten, sie haben die Kadaver an den Hinterläufen aufgehängt, die Häute gebürstet, sie haben die Gedärme aus den aufgeschlitzten Bäuchen geholt, sie haben die Köpfe abgetrennt, die Füße abgekniffen, die Hinterläufe abgeschnitten, sie haben die Augen ausgestochen, sie haben hart gearbeitet.
    Sie brauchen das Geld. Kimi muss sein Haus abbezahlen. Adrians Mutter ist krank. Sie braucht Medikamente, die er ohne diesen Job nicht bezahlen kann. Vasiles Kind wartet auf eine Operation. Alle, die in der Schlachterei schuften, brauchen das Geld. Jeder hat seine Geschichte. Jeder hat seine eigenen Sorgen. Und nun wurden sie seit zwei Monaten nicht bezahlt. Und niemand weiß, ob sie im Mai ihren Lohn bekommen.
    Sie haben Kimi 1200 Euro im Monat versprochen. Auf die Hand. Ein Essen am Tag umsonst. Freie Unterkunft. Nun ziehen sie jedem von ihnen sieben Euro Miete für die Betten ab, in denen sie schlafen. Pro Tag. Zwölf Männer in einem Raum.
    Ihr Raum ist einer von vielen Räumen in den zweigeschossigen Gebäudereihen auf diesem großen Arial, das Adrian auf Deutsch das Lager nennt. Sie haben nicht einmal einen Schrank, die Habseligkeiten hat jeder unter sein Bett gestopft. Es ist eine alte Kaserne, mit Zaun und Stacheldraht, mit einem Wachhäuschen und einem Wachmann, der aufpasst und notiert, wann sie kommen und gehen.
    Die Deutschen, sagte Adrian, stecken andere gern in ein Lager. Das ist so in ihnen drin. Kimi ist das egal. Er will hier arbeiten, hart arbeiten. Er braucht das Geld. Aber sie haben seit zwei
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