Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
tun konnte – sie wollte sich unter
keinen Umständen an die Polizei wenden, nicht angesichts der
Möglichkeit, dass Dr. Humphries oder einer vom Biddle
Institut ihr Verschwinden bereits angezeigt haben könnte. Aber
ohne einen Cent in der Tasche …
Ein paar Meter vor ihnen hielt ein Taxi am Gehsteig, und als
Caroline stehen blieb, kurbelte der Fahrer das Fenster herunter.
»Kann ich Sie wohin fahren, Lady?«
Caroline starrte den Wagen an, und ihre Füße schienen auf
dem Gehsteig festzuwachsen. »Ich … ich habe kein Geld«,
stammelte sie schließlich. Doch Ryan war bereits am Wagen
und zog die hintere Tür auf.
»Komm, Mom! Steig ein!«
Caroline konnte sich immer noch nicht bewegen. Doch als
sie dann auf Lauries leichenblasses Gesicht hinabblickte,
bemerkte sie die Blutflecken vorne auf der gestohlenen
Schwesternbluse. Wenn sie nicht in dieses Taxi stieg, und
jemand anderer sie so sähe … Damit war die Entscheidung
gefallen: Sie hob Laurie auf den Rücksitz und setzte sich
daneben.
»Gleich ein paar Blocks weiter ist ein Krankenhaus«, sagte
der Fahrer. »In fünf Minuten sind wir da.«
Ein Krankenhaus, dachte Caroline. Dort wird man Fragen
stellen. Fragen, die sie nicht beantworten konnte, zumindest
jetzt noch nicht.
Nicht heute Nacht.
Vielleicht nie.
»Nein«, gab sie zurück. »Ich kann in kein Krankenhaus
gehen und mich auch nicht an die Polizei wenden.« Sie sah,
dass der Fahrer sie im Rückspiegel beobachtete und merkte,
wie sich sein Mitleid urplötzlich in Argwohn verwandelte. Sie
überlegte, ging in Windeseile ihren Bekanntenkreis durch,
strich im Geiste eine Möglichkeit nach der anderen, bis sie
ganz plötzlich auf einen Menschen kam, den sie anrufen
könnte, der keine Fragen stellen würde, der einfach die Tür
öffnen und sie hereinholen würde. »Haben Sie ein Handy?«,
fragte sie den Fahrer.
Der zögerte kurz, ehe er ihr sein Telefon nach hinten reichte.
Mit zitternden Fingern tippte sie eine Nummer ein und drückte
den Knopf mit dem grünen Telefonsymbol. Sei zu Hause,
betete sie im Stillen. Bitte, sei zu Hause.
Nach dem achten Klingeln schaltete sich der Anrufbeantworter ein, und noch ehe die Ansage ablief, redete
Caroline schon. »Kevin? Bist du da? Mark? O Gott, bitte, wenn
ihr da seid –«
»Caroline?«, hörte sie Kevin Barnes Stimme etwas
undeutlich und gleichzeitig mit der Bandansage fragen. »Was
gibt’s? Ist was passiert?«
»Ich muss zu euch kommen. Sofort. Mit den Kindern.«

39. Kapitel
    Kevin Barnes wartete schon vor dem Haus, als das Taxi am
Gehsteig anhielt, und nachdem er den Fahrer bezahlt hatte,
wollte er Caroline Laurie abnehmen, doch Caroline schüttelte
nur stumm den Kopf und umklammerte ihre Tochter noch
fester. Kevin, der spürte, dass jede Diskussion sinnlos war,
hielt ihr und Ryan die Tür auf und lief dann voraus, um den
Aufzug zu holen. Die Türen öffneten sich in dem Moment, als
Caroline und Ryan dort anlangten, und während sich der
Aufzug in Bewegung setzte und sie in den siebten Stock
hinauftrug, sprach keiner von ihnen ein Wort. Oben stand Mark
Noble bereits in der Wohnungstür.
    »Gütiger Himmel, was soll das denn werden, gute Frau?«,
feixte er, als er zur Seite trat, um Caroline hereinzulassen.
»Verstößt es nicht gegen irgendein Gesetz, sich als Krankenschwester zu verkleiden?«
    Kevin verdrehte die Augen. »Wenn dem so wäre, säße sie
schon in Sing-Sing.«
Ohne einen der beiden zu beachten, trug Caroline ihre
Tochter ins Wohnzimmer, legte sie behutsam auf die Couch
und kniete sich dann neben sie. »Liebling?«, flüsterte sie.
»Kannst du mich hören?«
Erst gab Laurie keine Antwort, doch dann schlug sie die
Augen auf und griff nach der Hand ihrer Mutter. »D-durst«,
kam es fast unhörbar über ihre ausgetrockneten Lippen.
»Ich bringe was zu Trinken«, erbot sich Kevin. »Eine
Sekunde.« Kurz darauf kehrte er mit einem Glas Wasser
zurück. »Ich habe Teewasser aufgesetzt«, sagte er und hielt
Laurie das Glas an die Lippen. Als sie mit zittrigen Fingern
danach griff, bemerkte er erst, wie aschgrau das Mädchen im
Gesicht war, und wandte sich an Caroline. »Die Kleine gehört
ins Krankenhaus.«
Caroline schüttelte heftig den Kopf. »Das geht nicht«, stieß
sie hervor. »Ich –« Und nun konnte sie sich nicht länger
beherrschen. Ein Schauder durchfuhr sie, und dann begannen
die Tränen zu fließen. Von tiefen Schluchzern geschüttelt, sank
sie in Kevins Arme. Und Ryan sah aus, als würde er auch
gleich in Tränen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher