Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
gerichtet fühlte.
Immer öfter beschlich ihn nun dieses unangenehme Gefühl,
dass hinter seinem Rücken jemand war, der ihn beobachtete. Er
hatte versucht, diesen Eindruck zu ignorieren, dem Drang zu
widerstehen, einen Blick über die Schulter zu werfen, doch
irgendwann stellte es ihm unweigerlich die Nackenhaare auf,
ein eiskalter Schauer jagte ihm über den Rücken, und
schließlich drehte er sich doch um.
Und da war niemand.
Mal abgesehen davon, dass logischerweise immer jemand in
seiner Nähe war – schließlich lebte er mitten in Manhattan! Da
befand sich stets ein anderes menschliches Wesen in seiner
Nähe, gleichgültig, wo er sich aufhielt: auf dem Bürgersteig, in
der U-Bahn, im Büro, in einem Restaurant, im Park.
Und dann ging seine Wahrnehmung über das Gefühl,
beobachtet zu werden, hinaus. Seit einigen Tagen glaubte er
nun, dass ihn jemand verfolgte.
Mittlerweile hatte er es aufgegeben, sich gegen diesen
prüfenden Blick über die Schulter zu wehren, und seit heute
schien es ihm, als schaute er alle paar Sekunden zurück.
Am Nachmittag, auf dem Heimweg vom Büro, war er
ständig stehen geblieben und hatte in die Schaufensterscheiben
gestarrt, wobei ihn die Auslagen nicht im Geringsten interessierten, sondern nur das, was die Scheiben widerspiegelten.
Die Reflektionen der Passanten. Manche wären beinahe in
ihn hineingelaufen, einige entschuldigten sich beim Vorbeihasten, andere straften ihn mit ärgerlichen Blicken.
Aber niemand folgte ihm.
Daran gab es nicht den leisesten Zweifel.
Doch tief in seinem Inneren nagte sehr wohl ein Zweifel,
und als er heimkam, war er so nervös gewesen, dass er sich
einen Drink eingeschenkt hatte, was er praktisch nie tat. Ab
und zu ein Glas Wein zum Abendessen, darauf beschränkte
sich gewöhnlich sein Alkoholkonsum. Schließlich hatte er sich
dazu entschlossen, noch eine Runde joggen zu gehen – eine
halbe Stunde würde es noch hell sein, und er wollte sich richtig
müde laufen – in der Hoffnung, diesen elenden Wahnvorstellungen, die ihn von Tag zu Tag mehr beherrschten, die
Kraft zu nehmen.
»Jetzt noch?«, hatte seine Frau sich gewundert. »Es wird
doch gleich dunkel!«
»Das macht mir nichts aus«, war seine Antwort gewesen.
Und er fühlte sich tatsächlich gut. Er bog von der 77. Straße
in den Park ein und hielt sich Richtung Norden, bis er zur Bank
Rock Bridge kam. Nach der Brücke dann verzweigten sich die
Wege, was dem Teil des Parks den Namen Ramble eingetragen
hatte. Diese Gegend war ziemlich verlassen, und während er
auf die Bow Bridge zulief, spürte er plötzlich, wie der Wahn
wieder seine Klauen nach ihm ausstreckte.
Da war niemand, der ihn beobachtete.
Niemand, der ihm folgte.
Es passierte überhaupt nichts Ungewöhnliches.
Während er sich allmählich entspannte, verlangsamte er sein
Lauftempo. Die Dämmerung senkte sich über den Spätnachmittag, die Bänke waren nun leer. Die wenigen anderen
Jogger, die noch unterwegs waren, legten einen Gang zu, um
aus dem Park herauszukommen, ehe die Dunkelheit sie
einholte. Hinter sich hörte er die kraftvollen Schritte eines
anderen Joggers und schwenkte nach rechts, um ihn
vorbeizulassen. Doch dann, gerade als der andere an ihm hätte
vorbeiziehen müssen, wurden dessen Schritte plötzlich
langsamer.
Und die Paranoia überfiel ihn mit voller Wucht.
Was war passiert?
Warum lief der andere auf einmal langsamer?
Warum hatte er ihn nicht überholt?
Da stimmte etwas nicht. Er machte Anstalten, über die
Schulter zu spähen.
Zu spät.
Von hinten schlang sich ein Arm um seinen Hals – bedeckt
von einem dunklen Stoff. Noch ehe er irgendwie reagieren
konnte, verstärkte sich der Druck des Arms. Mit den Händen
versuchte er ihn wegzuziehen, seine Finger krallten sich in den
dunklen Ärmel, doch dann spürte er eine Hand an seinem
Kopf.
Eine Hand, die seinen Kopf nach links drückte, tief in die
Armbeuge seines Angreifers.
Die Muskeln des Arms spannten sich; der Druck wurde
stärker.
Er nahm alle Kraft zusammen, holte aus, um dem Angreifer
den Ellbogen in den Bauch zu rammen und -
Mit einer einzigen, blitzschnellen Drehung riss der Mann
ihm den Kopf herum, brach ihm das Genick. Sein Körper
erschlaffte.
Nur eine Sekunde später waren seine Brieftasche und die
Uhr – zusammen mit dem Angreifer – verschwunden, und sein
Leichnam verschmolz mit der rasch einsetzenden Dunkelheit.

Teil 1
Der erste Albtraum
    Das Mädchen lag im Bett, fest entschlossen, nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher