Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
da.«
    Caroline war überzeugt, dass sie etwas falsch verstanden
hatte. »Soll das heißen, die Stadt existiert nicht mehr?«
Der Antiquitätenhändler nickte heftig mit dem Kopf. »Genau
das meinte ich! Sie haben sie niedergebrannt! Vor über hundert
Jahren. Außer diesem Hochzeitsstuhl und ein paar anderen
wenigen Stücken ist nichts geblieben.«
»Aber warum?«, fragte Caroline, doch im selben Moment
fielen ihr wieder die Worte in Ilanya Vlamescus Brief ein.
»Das weiß niemand«, gab Alexandru zurück. »Oh, natürlich
kursierten allerhand Geschichten, aber keine glaubhaften, wenn
Sie mich verstehen. Es gab Gerüchte über Vampire, und
irgendeine Epidemie, die die Kinder von Gretzli umgebracht
haben soll. Und dann waren da noch die Grabschändungen.«
Alexandru, der sich allmählich für dieses Thema erwärmte,
machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, das waren
nur Studenten der Medizin – damals gab es eine Menge solcher
Vorfälle. Aber die Leute von Gretzli waren auch ein
unglaublich abergläubischer Haufen, und eine Geschichte
führte zur nächsten. Dann, als plötzlich die Kinder starben,
begannen die Menschen das Dorf zu verlassen. Haben einfach
den Ochsenkarren voll geladen und nichts wie weg. Das
machte die Sache natürlich nicht besser, und nach einer Weile
begannen die paar Leute, die noch dort geblieben waren, sich
gegenseitig dieser üblen Umtriebe zu bezichtigen. Eines Nachts
schließlich fing ein Haus an zu brennen. Wie es aussah, hätte
man das Feuer sehr wohl löschen können, aber das geschah
nicht.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Am nächsten Morgen
lag das gesamte Dorf in Schutt und Asche.«
»Gretzli, wo war das?«, erkundigte sich Caroline, als sie
zehn Minuten später das Museum verließen.
Milos Alexandru wies mit der Hand nach Norden. »Nicht
weit von hier – vielleicht fünf Kilometer. Aber dort gibt es
nichts mehr zu sehen, ehrlich – es ist alles verbrannt. Alles
außer diesem Hochzeitsstuhl. Jemand hat ihn aus der Kirche
gezerrt und mitten auf die Straße gestellt. Dem Himmel sei
Dank dafür.«
    Es war schon spät am Nachmittag und wurde allmählich kalt,
als Milos Alexandru seinen winzigen Yugo auf einem
schmalen, von Bäumen gesäumten Weg zum Stehen brachte.
»Gretzli lag gleich da vorn«, sagte er zu Caroline. »Weiter
kann ich mit dem Auto nicht fahren – dort in der Mitte des
Wegs liegt nämlich ein Felsen. Aber wenn Sie möchten, kann
ich Sie zu Fuß begleiten.«
    »Danke, das ist nicht nötig«, versicherte Caroline, als sie aus
dem Wagen stieg. »Ich brauche nur ein paar Minuten, will mir
den Ort nur mal kurz ansehen.« So ließ sie den alten
Antiquitätenhändler in seinem warmen Yugo sitzen, machte
sich auf den Weg, und gleich hinter dem erwähnten Felsen kam
sie an den Ort, wo einst das Dorf Gretzli gestanden hatte.
Alexandru hatte Recht – von dem Dorf war nur mehr eine
Lichtung in dem dichten Wald übrig, die jedoch allmählich von
jungen, rasch nachwachsenden Bäumen überwuchert wurde.
Hier und dort sah man noch die Fahrrinnen, die an die alte
Dorfstraße erinnerten, und ein paar niedrige Buckel, die die
Fundamente kleiner Häuser gewesen sein mochten. Beinahe
eine halbe Stunde lang schlenderte sie an diesem Ort herum,
besah sich alles genau, ohne etwas zu entdecken.
    Tatsächlich wusste sie nicht einmal genau, wonach sie
eigentlich suchte.
Dann, als sie wieder zu Milos Alexandrus Wagen
zurückgehen wollte, hatte sie ein Deja-vu-Erlebnis, das so
intensiv war, dass sie umkehrte und erwartete, etwas Vertrautes
zu sehen, etwas, was sie sofort wiedererkannte.
Aber da war nichts! Nichts als der Wald und der Himmel
und – Der Wald und der Himmel!
Sie schaute hinauf, und da geschah es wieder – erneut
umfing sie die Gewissheit, das hier schon einmal gesehen zu
haben. Aber diesmal wusste sie, dass es sich nicht um ein Dejavu handelte.
Es war, als befände sie sich in der Halle des Rockwell und
schaute hinauf zur Decke und dem kunstvollen Trompe-l’CEil.
Die Bäume und der Himmel, die sich hier über ihr erhoben,
vermittelten ihr das gleiche unheilvolle Gefühl, das sie auch
verspürt hatte, als sie das Foyer des Rockwell zum letzten Mal
betreten hatte. Und einen Moment lang glaubte sie tatsächlich,
auf den Ästen Dämonen lauern zu sehen, die darauf warteten,
dass von der blutigen Mahlzeit der Menschen ein paar Reste
für sie abfielen.
Dieselben Dämonen hatte jemand in die Rückenlehne des
massiven
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher