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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen
Autoren: John Saul
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Fenster, die
Caroline an diesem Bauwerk immer am besten gefallen hatten,
starrten nun mit der Leere des Todes auf sie hernieder. Aber
das bildete sie sich natürlich nur ein – abgesehen von seinen
Bewohnern war das Rockwell nur ein gewöhnliches Gebäude.
Und doch, als sie das Haus anstarrte und die schrecklichen
Erinnerungen der letzten Tage durch ihren Kopf wirbelten, war
es, als strahlte es plötzlich etwas Böses aus.
Etwas Böses und Totes.
»Es … es sieht so anders aus«, sagte sie und schob
unbewusst die Hand durch Oberholzers Arm. Sie zwang sich,
den Blick von dem bedrohlichen Gebäude abzuwenden und sah
zu dem Detective hoch. »Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob
ich da hineingehen kann.«
»Das können Sie«, versicherte er ihr. »Ich bin hier bei Ihnen,
und meine Partnerin wartet in der Eingangshalle auf uns. Und
glauben Sie mir. Sie ist nicht allein – wir haben in allen
Stockwerken Leute postiert.« Er drückte ihre Hand fester
gegen seinen Arm, einerseits um ihr Mut zu machen, andererseits um es ihr zu erschweren, die Hand wieder zurückzuziehen, und trat vom Gehsteig auf die Straße. »Kommen Sie.
Es ist besser, wenn wir wissen, was da drin vor sich geht – was
es auch sein mag.« Als sie sich immer noch nicht bewegte,
drehte er sich zu ihr um. »Wir haben nie herausgefunden, wer
Ihren ersten Mann umgebracht hat«, sagte er und verzichtete
auf den unpersönlichen Tonfall, den er im Dienst stets annahm.
»Ebenso wenig haben wir den Mörder Ihrer Freundin
aufgespürt. Wie viele offene Fragen sollen noch in Ihrem
Leben stehen? Oder dem Ihrer Kinder?«
»Wenn Tony –«, begann Caroline, aber Frank wiegelte ab.
»Anthony Fleming ist nicht im Haus. Und offenbar auch
sonst keine Menschenseele. Also droht Ihnen keinerlei Gefahr.
Kommen Sie.« Noch einmal setzte er einen Fuß auf die Straße,
und diesmal hielt Caroline mit ihm Schritt. Und zögerte
abermals auf den Stufen hinauf zu den schweren Eichentüren.
»Bereit?«, fragte Oberholzer. Caroline holte tief Luft, nickte,
und der Detective zog eine der beiden Türen auf.
Als Caroline das Vestibül betrat, zog eine junge Frau in
einem schlichten blauen Kostüm eine der Glastüren auf, so als
ob sie auf sie gewartet hätte. Was Caroline als Erstes traf, war
dieser schreckliche Gestank; es war der gleiche Verwesungsgeruch, der vor wenigen Stunden aus Rodneys aufgeschlitzter
Kehle entwichen war und jetzt die gesamte Lobby erfüllte.
Unwillkürlich machte sie einen Schritt zurück, als der faulige
Geruch ihr in die Nase stieg, und sie wäre hinaus in den hellen
Sonnenschein gerannt, wenn Oberholzer nicht ihre Hand fest
gehalten hätte.
»Himmel noch mal, Hernandez«, hörte sie den Detective
stöhnen. »Stinkt es im ganzen Haus so widerlich?«
Die Frau in dem marineblauen Kostüm nickte. »Wir haben
noch nicht herausgefunden, woher dieser Gestank kommt. Und
daran gewöhnen tut man sich auch nicht. Zumindest mir ist es
nicht gelungen.« Sie drehte sich um und streckte Caroline die
Hand hin. »Ich bin Detective Hernandez.«
Caroline beachtete weder die angebotene Hand, noch hatte
sie mit mehr als einem halben Ohr zugehört, was Detective
Hernandez gerade gesagt hatte. Stattdessen versuchte sie
fieberhaft zu begreifen, was hier vor sich ging.
Alles hier im Foyer hatte sich verändert.
Die Möbel schienen über Nacht um Jahrzehnte gealtert zu
sein – das Sofa war durchgesessen, die Kissen wirkten
klumpig, und die Polsterung jedes Möbelstücks war auf einmal
fadenscheinig und zerschlissen. Aber es waren nicht nur die
Möbel, die so anders aussahen. Die Malereien an den Wänden
und der Decke waren so nachgedunkelt, dass sie wie ein
Trauerschleier über dem hohen Raum hingen und einem das
Gefühl gaben, dass die sonderbare Welt, die sie darstellten,
sich hier verdichtete. Die Mondsichel, die Caroline vor ein paar
Tagen noch heller erschienen war, war verschwunden, und die
Sturmwolken hingen tiefer und sahen schwerer aus. Die
seltsamen gehörnten Kreaturen, die man vorher in dem dichten
Blattwerk kaum sah, waren jetzt in den Vordergrund getreten
und warteten gierig darauf, sich ein paar Fleischbrocken von
dem Tisch zu schnappen, um den die heißhungrigen Männer
saßen und ihren Festschmaus verzehrten.
Nur waren die Leckerbissen sonderbarerweise verschwunden, und der Tisch bis auf ein paar dunkle Flecken, die in dem
trüben Dämmerlicht aussahen wie geronnenes Blut, leer. Der
offene Kamin – in dem
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