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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt
Autoren: Dennis Gastmann
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nicht. Hier bei uns in Wremen wohnt auch ein Schwarzer. Schon seit acht Jahren. Der ist aber noch nicht weiß geworden!»
    «Nicht weiß geworden?»
    «Nein, der ist immer noch schwarz. Wie kann das sein?»
    Tja, so ist das im Leben: Du reist mit 80   000   Fragen um die ganze Welt und vergisst, die wirklich wichtigen Fragen zu stellen. Wie lange muss man eigentlich fragen, bis man wirklich etwas weiß?
    Und wieder einmal hat mich Frau Brunkhorst kalt erwischt, doch es kommt noch schlimmer. Wilma setztgenau denselben kritischen Blick auf, den meine Oma Anneliese immer trägt, wenn sie etwas ganz Bestimmtes wissen möchte. Ich ahne Böses.
    «Nun erzähl mal, Dennis. Bist du denn endlich verheiratet?»
    «Nee, noch nicht», antworte ich und laufe rot an. Irgendwie schäme ich mich.
    «Was? 32   Jahre alt und noch nicht verheiratet? Wie kann das sein? Also, wer soll das verstehen. So ’n fixen Bengel, aber findet keine Frau.»
    Wilma nimmt einen Schluck eiskalten Flockenkaffee und blickt aus dem Fenster auf die Weide und den verregneten Obstgarten. Dann sieht sie mir in die Augen.

    «Weißt du was? Die Frauen rennen dir alle weg, weil du immer unterwegs bist.»
    Autsch. Ich schütte mir eine ganze Tasse Kaffee in den Hals, stelle mir vor, es wäre Doppelkorn, und sehe den Kühen beim Nasswerden zu. Jemand hat mich mal gefragt: Wie lange muss man reisen, um endlich anzukommen? Ich habe die Antwort noch nicht gefunden. Wilma erhebt sich von ihrem Küchenstuhl und wackelt in die gute Stube. «Ich geh mal was holen!», sagt sie und kehrt mit einem kleinen silbernen Bilderrahmen zurück. Sie knallt ihn auf den Tisch.
    «So. Das ist meine Enkelin, auch so ’n schwieriger Fall. Die ist 31 und hat noch nie einen Mann mit nach Hause gebracht. Interessiert sich nur für Pferde. Immer nur für Pferde!»
    «Ein Pferdemädchen?»
    «Ja, Pferde, Pferde, Pferde. Vielleicht sollte die es mal mit ’nem Mann probieren.»
    «Vielleicht ist sie dann aber auch enttäuscht?»
    «Meinste, du kannst mit ’nem Pferd nicht mithalten? Du bist doch noch jung!»
    Es wird mal wieder Zeit zu gehen. Ich muss heute noch nach Hamburg, und Wilma ist um 15   Uhr zum Knobeln mit den Landfrauen verabredet, auch wenn sie beim Knobeln immer verliert. Sie nimmt meine Hand und führt mich durch die Waschküche und die Scheune vor das grüne Tor. Dort lässt sie meine Hand nicht los.
    «Weißt du, ich werde kleiner.»
    «Noch kleiner?»
    «Ja, ich schrumpfe. Ich sage immer: Ich gehe Richtung Abgrund.»
    Diesmal ist kein Lächeln in Wilmas Gesicht. Es geht ihrwirklich nicht gut. Früher sei sie doch noch durch Reifen gesprungen und habe kaum hundert Pfund gewogen. Und heute nehme sie täglich Cortison gegen das Rheuma. «Ich werde alt, mein Lieber!»
    Wilma drückt meine Hand noch fester. Ihre ist eiskalt.
    Und wenn es doch nur das Rheuma wäre. Wilmas rechtes Auge ist trübe und leicht milchig. Den Namen der Krankheit habe sie zwar vergessen, das sei aber auch egal. Auf jeden Fall könne sie jetzt nicht mehr gut sehen. Und nicht mehr sticken. Dabei habe sie doch ihr ganzes Leben lang Tischdecken bestickt. Und kleine Kissen. «Weißt du, Dennis», flüstert Wilma, «ich lebe ja nun schon seit 26   Jahren allein. Aber zum ersten Mal ist mir langweilig.» Noch immer hält sie meine Hand. Sie kann mich nicht loslassen. Sie will mich nicht loslassen.
    Wir stehen bestimmt eine halbe Stunde so da. Ein grauer Zwerg und ein blonder Kindskopf mit einem kleinen, sonderbaren Mädchen-Koffer. Die Scharniere sind verrostet, der Griff gerissen, das Möchtegern-Burberry-Muster verwaschen. Was in dem Koffer ist? Das möchte ich Ihnen lieber nicht verraten, es würde Sie erschrecken. Aber wenn Sie ihn ansehen, wenn Sie ihm etwas Zeit schenken und die Details seiner verschlissenen Oberfläche ganz genau betrachten, dann erzählt er Geschichten. Von Schlammvulkanen in Absurdistan, von einer Schafherde im neuseeländischen Dauerregen, von dem Schweiß der Masseure in einem Hamam in Istanbul, von den Hinterlassenschaften einer thailändischen Elefantendame und vom Blutdurst der Moskitos auf Madagaskar.
    Die Enden meiner Hosenbeine sind zerfetzt, meine Fußbedeckung hat die Bezeichnung Schuhe nicht mehr verdient, am linken Ärmel meiner grünen Jacke klafft einansehnliches Loch – zärtliche Grüße von einer kleinen Kuh aus Andalusien. Und ich selbst? Habe auch ich mich verändert? Wilma studiert mein Gesicht. «Nein, du bist immer noch derselbe. Derselbe Dennis.»
    Es
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