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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt
Autoren: Dennis Gastmann
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Last. Machismo ist ein Problem für Männer und Frauen.»
    Geschlechterkampf. Man kann ihn mit der gefrorenen Rinderkeule austragen, man kann ihn auch tanzen. Es istspät, und ich sitze ganz hinten in einer offenen Bar in San Telmo, dem Tangoviertel von Buenos Aires. Die meisten der groben Holztische sind an die Seite gerückt, und in der Mitte des Raumes tanzen junge argentinische Frauen und Männer einen Tanz, der irgendwo zwischen Sex und Judo liegt. Es ist ein Spiel. Du kannst den Tango stehend tanzen, du kannst ihn aneinanderlehnend tanzen, und die Frau kann ihn ganz auf sich zukommen lassen.
    Doch der Mann muss ganz Mann sein. Er muss führen, er muss die Frau zähmen. Ein Tanz, der einem Macho gewiss leichter fällt als mir. Ich kann nicht tanzen, ich denke zu viel. Aber wenn du nicht denkst und davon ausgehst, dass du alles kannst und alles richtig machst, dann fällt es dir gar nicht schwer, die Frau zu dirigieren. Dann folgt sie jeder deiner Bewegungen, auch wenn sie ins Verderben führen. Das ist Machismo.
    Während ich so dasitze, beobachte und mich langsam, aber sicher mit Rotwein zuschütte, lässt mich eine Tänzerin keine Sekunde aus den Augen. Ihr schwarzes Haar ist schlampig zusammengebunden, sie trägt einen grauen Schlabberpulli, weiße Turnschuhe und kaut Kaugummi. Aber ihr Tango und vielleicht auch der Wein machen sie so sexy wie Penélope Cruz. Ihr Partner ist ein Grobian. Ein Klotz mit dunklem Pferdeschwanz und graumelierten Schläfen. Nicht so schön wie Antonio Banderas, aber deutlich größer.
    Es gibt im Tango Drehungen nach links, Drehungen nach rechts und Diagonalen. Wenn du mehrere diagonale Bewegungen hintereinander machst, zeichnest du eine Acht auf die Tanzfläche. Und ganz nebenbei kommst du deinem Partner dabei sehr nahe. Diese intimste aller Tangofiguren nennen manche Menschen eine Schweinerei.Die Argentinier nennen sie Ocho. Penélope und ihr Banderas malen eine Acht nach der anderen auf das Parkett, dabei sieht sie mich über seine Schulter unentwegt an und lässt mich nicht los. Sie tanzt nicht mit ihm, sie tanzt mit mir. Auch das ist ein Spiel. Die Argentinier haben dafür einen blumigen Namen, den ich leider vergessen habe. Du siehst einer Frau so lange in die Augen, bis du sie bezwingst. Sieht sie allerdings weg, dann hast du verloren. Aber manchmal betritt noch eine dritte Person die Spielfläche.
    «Darf ich dich malen?»
    Dios mio, schon wieder ein Mädchen. Sie hat sich an den Nebentisch gesetzt und hält Zeichenblock und Kohlestifte in der Hand. Das also ist die Schönheit von Buenos Aires. Nicht die Wahrzeichen, nicht die Straßen und ganz sicher nicht die Taxifahrer. Es sind die Nächte.
    In dieser Nacht träume ich von meiner Grundschulfreundin. Julia. Meine erste große Liebe. Wir waren siebzehn Mal zusammen, denn alle drei Tage machte sie mit mir Schluss. Eines Tages beim Schlittenfahren hatte ich genug. Ich wollte Julia zeigen, wer der Chef ist. Ich wollte Macho sein und sagte, wir müssten reden. Also sprachen wir über ihre pathologische Beziehungsunfähigkeit, meine Verlustängste und die Perspektiven unserer Partnerschaft. Dann beendete ich unsere Beziehung in der Hoffnung, Julia würde in Tränen ausbrechen und mich im niedersächsischen Schnee kniend von Herzen anflehen, sie zurückzunehmen. Stattdessen sagte sie «Okay», wendete sich ab, und ich lief ihr hinterher. Großer Fehler. Statt Macho zu sein, legte ich einen hemmungslosen Seelenstriptease auf die Schlittenbahn. Ich hätte doch nur aus pädagogischen Gründen mit ihr Schluss gemacht. Ich hätte Schluss gemacht, weil sie immer mit mir Schluss machte, unddamit sollte endlich Schluss sein. «Dennis, es ist Schluss», sagte Julia. Und es war Schluss. Einen achtzehnten Versuch gab es nicht. Das letzte Mal, es war vor ein paar Jahren, sah ich Julia übrigens im Fernsehen. Sie nahm an einem Quiz teil. Frage: Nennen Sie ein Tier mit sechs Beinen. Antwort: Oktopus.
    Am nächsten Morgen liege ich auf der Couch eines Psychologen. Dr.   Juan lo Carmine Gammel ist kein Macho, er ist äußerst sensibel. Ich bin immer noch erschöpft von dem zweistündigen Vorgespräch, das wir gerade beendet haben. Außerdem trägt der Doktor gerne rosafarbene Pullis über sauber gebügelten Karohemden. Buenos Aires ist die Stadt mit der höchsten Psychologendichte der Welt. Doktor Gammel sagt, das habe mit der Hysterie der argentinischen Frau und dem Machismo des argentinischen Mannes zu tun.
    «Warum bist du hier?»

    «Ich
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