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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt
Autoren: Dennis Gastmann
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eher damit beschäftigt, seine eigenen Verbrechen zu vertuschen und zu verdrängen.
    «Don Erico» arbeitete als S S-Verbindungsoffizier in der deutschen Botschaft in Rom, als ein Bombenanschlag die Wehrmachtstruppen erschütterte. 33 deutsche Soldaten kamen dabei ums Leben. Hitler soll einen Tobsuchtsanfall bekommen haben, und von der Wolfsschanze erging der barbarische Befehl, für jeden getöteten deutschen Soldaten auf der Stelle zehn Zivilisten hinzurichten. Die Blutorgie nahm in den Ardeatinischen Höhlen ihren Lauf, einem Steinbruch in der Nähe von Rom.
    Die Menschen mussten niederknien, ihre Henker traten direkt hinter sie. Um Munition zu sparen, sollten die Schüsse präzise und aus kürzester Entfernung gesetzt werden. Blinder Gehorsam. Erich Priebke sah nicht nur zu, als seine Landsleute die Menschen in Gruppen von je fünf niederschossen. «Don Erico» soll auch mindestens zwei Menschen selbst erschossen haben. Bald wurden die Höhlen eng, und die Unschuldigen mussten sich auf die Leichen ihrer erschossenen Mütter, Väter und Söhne knien, bis auchsie starben. Priebke führte nüchtern Strichliste und stellte am Ende fest, dass sie versehentlich fünf Menschen zu viel hingerichtet hatten. Das jüngste Opfer an diesem Tag war 14, das älteste 74.
    Fast ein halbes Jahrhundert lebte Erich Priebke völlig unbehelligt in Bariloche, dann holte ihn die Vergangenheit ein. Es war schon dunkel, als die Polizei an Priebkes Tür klopfte. Don Erico zog schweigend seinen Mantel über, nahm seinen Hut, stand kerzengrade und sagte nur: «Ich bin bereit.»
    Und wie haben die Bürger von Bariloche auf die Verhaftung reagiert?
    «Viele habe sich mit ihm solidarisch erklärt. Nicht nur die Deutschen, auch die Argentinier.»
    «Solidarisch?»
    «Natürlich. Schließlich war Priebke ein Ehrenmann und ein guter Nachbar.»
    Bevor ich darüber nachdenken kann, passiert etwas Absurdes. Die Tür des Priebke-Hauses öffnet sich, und vor uns steht ein weißhaariger Mann mit roten Wangen, die von geplatzten Äderchen überzogen sind.
    «Jörg-Dieter!», ruft Hans, und ich kann es nicht fassen. Soeben hat uns Priebke junior die Tür geöffnet. Jörg-Dieter Priebke ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. «Wollt ihr nicht reinkommen?», fragt er, und wir lassen uns nicht lange bitten.
    Priebke junior führt uns in den Hinterhof. Ein kleiner Garten zwischen zwei einfachen Wohnhäusern. Ein größeres und ein kleineres.
    «Hier haben Sie mit Ihrem Vater gewohnt?»
    «Ja, erst in diesem Haus, und dann sind wir rübergezogen. Kommen Sie mal mit!»
    Ich folge Priebke in einen kleinen Schuppen. «La Berlinesa» hat jemand in ein Schild an der Eingangstür geschnitzt – kleines Berlin. Drinnen frönt Jörg-Dieter Priebke seinem kleinen Glück. Er sammelt Fünf-Liter-Bierfässer aus aller Welt, macht einfache Holzarbeiten und leimt gerade an einem Plastikmodell der «Bismarck», Hitlers Lieblingsschlachtschiff. Ich erzähle ihm ganz offen, dass ich mich für die Geschichte der Nazis in Südamerika interessiere, und plötzlich hält Priebke inne. «Da fällt mir was ein! Ich hab doch mit dem Adolf Eichmann noch zusammen bei Mercedes-Benz am Band gestanden. Das war ein ganz feiner Kerl. Als ich hörte, dass die den abgeholt haben, war ich erst mal baff.»
    Wir kehren zurück in den kleinen Rosengarten, und Priebke muss an seinen alten Herrn denken.
    «Ja, das war wirklich ’ne blöde Sache mit meinem Vater. Das ist doch alles politisch gewesen. Die Juden wollten den unbedingt haben, dabei hat er doch nur ein-, zweimal abgedrückt.»
    «Wussten die Leute denn von der Geschichte Ihres Vaters?»
    «Ach, mein Vater hat nie verschwiegen, dass er bei der SS war. Der hat immer mit den Leuten so fröhlich Geschichten dadrüber erzählt.»
    «Also jeder kannte die Kriegsverbrechen?»
    «Hier in Bariloche wusste das jeder. Das war keine Überraschung. Die Medien haben daraus eine Sensation gemacht. Aber das war nur Schauspielerei.»
    Priebke junior hat eine sonderbare Art zu reden. Eigentlich redet er nicht mit mir, sondern mit sich selbst. Er hat den linken Arm in die Seite gestützt, und sein Blick schweift unentwegt durch die Gegend.
    «Haben Sie sich jemals für Ihren Vater geschämt?»
    «No, ich habe mich nicht geschämt. Er hat kein Verbrechen, er hat nie ein Verbrechen   …»
    «Na ja, er ist immerhin verurteilt für Kriegsverbrechen.»
    «Jaja, heutzutage machst du den Mund auf, schon bist du ein Verbrecher.»
    Immer sind die
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