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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla
Autoren: Philip Kerr
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doch so aussehen, wie sie aussehen. Aber Melba war jung und verängstigt und einsam, und sie wollte, dass jemand – vermutlich egal wer – sie in die Arme nahm und ihr das Gefühl gab, dass der Welt was an ihr lag. Ich kenn das. Man kommt allein auf die Welt, und man stirbt allein, und die übrige Zeit muss man sehen, wie man klarkommt.
     
    Als wir am nächsten Tag Santiago erreichten, ruhte ihr Kopf schon seit guten hundertfünfzig Kilometern auf meiner Schulter, wie eine dunkle exotische Blume. Wir gingen miteinander um wie jedes junge Liebespaar, bei dem der Mann zufällig mehr als doppelt so alt ist wie die Frau, die zufällig noch dazu eine Mörderin ist. Vielleicht ist das ein bisschen unfair. Melba war schließlich nicht die Einzige, die jemanden erschossen hatte. Ich selbst hatte auch einige Erfahrung in dieser Hinsicht. Ziemlich viel Erfahrung sogar, aber das wollte ich lieber für mich behalten. Ich versuchte stattdessen, an das zu denken, was uns in Santiago erwartete. Manchmal macht uns die Zukunft Angst, aber die Vergangenheit ist noch schlimmer. Vor allem meine Vergangenheit. Der Gedanke an die Polizei von Santiago ließ mich jedoch vergessen, was ich erlebt hatte. Sie stand im Ruf, brutal zu sein, ein Ruf, der sicherlich nicht von ungefähr kam. Ich erinnerte mich an Doña Marinas Bemerkung, dass jede kubanische Revolution in Santiago beginnt. Dass die Leute hier davon abgesehen irgendetwas lostraten, war schwer vorstellbar. Jeglicher Beginn setzt schließlich eine gewisse Regsamkeit voraus, Bewegung, meinetwegen auch Arbeit, aber auf den verschlafenen Straßen der Stadt war von alldem nichts zu sehen. Leitern und Schubkarren standen verlassen herum, Pferde dösten vor sich hin, Boote lagen herrenlos im Hafen und Fischernetze zum Trocknen in der Sonne. Die einzigen Menschen, die aussahen, als würden sie arbeiten, waren Polizisten. Aber Arbeit konnte man das kaum nennen: Sie hockten in ihren Autos, die im Schatten der pastellfarbenen Häuser der Stadt parkten, rauchten Zigaretten und warteten darauf, dass die Dinge sich beruhigten oder in Gang kamen, je nach Sichtweise. Wahrscheinlich war es zu heiß und sonnig für irgendwelche Probleme. Der Himmel war zu blau, und das Meer war zu glatt, die Statuen zu weiß und die Schatten zu kurz. Selbst die Kokosnüsse trugen hier Sonnenbrillen.
    Ich kurvte ein wenig in der Gegend herum und orientierte mich dann an der Bekohlungsanlage von Cincoreales, was mir half, meinen Weg durch das Wirrwarr aus Werften, Auslegern, Kais, Schwimmkränen, Trockendocks und Slipanlagen zu finden. Hier wurde die Bootsflotte der Bucht von Santiago gewartet. Ich steuerte den Wagen einen steilen kopfsteingepflasterten Hang hinunter und eine schmale Gasse entlang. Über unseren Köpfen thronten gewaltige Überleitungen für Straßenbahnen, die nicht mehr fuhren, wie die Takelage eines Schoners, der längst ohne sie abgesegelt war. Ich hielt auf dem Bürgersteig an und spähte durch offene Flügeltüren in eine Bootswerft hinein.
    Ein bärtiger wettergegerbter Mann in kurzen Hosen und Sandalen manövrierte gerade ein Boot nach unten, das an einem rostigen Kran hing. Es flutschte wie ein Stück Seife ins Wasser, nachdem es gegen die Hafenmauer geknallt war. War ja nicht meins.
    Wir stiegen aus. Ich holte Melbas Gepäck aus dem Kofferraum des Chevys und brachte es in die Werft, wobei ich mir meinen Weg zwischen Farbtöpfen, Eimern, Tauen und Schläuchen suchte, vorbei an Holzstücken, alten Reifen und Ölkannen. Das Büro in einer kleinen Holzhütte ganz hinten war nicht weniger heruntergekommen als der Rest der Werft. Mendy würde in absehbarer Zukunft wohl nicht als Hausmann des Monats ausgezeichnet werden, aber er verstand etwas von Booten, und das war gut so, weil ich so gut wie nichts davon verstand.
    Vor langer, langer Zeit war Mendy einmal weiß gewesen. Nun war es nur noch sein Bart. Ein ganzes Leben auf und an der See hatte seinem Gesicht die Farbe und Textur eines abgenutzten Baseballhandschuhs verliehen. Er gehörte in eine Hängematte auf einem alten Piratenschiff mit Kurs auf Hispaniola, eine Pfeife in der einen Hand und eine Flasche Rum in der anderen. Mendy fuhr ungerührt mit seiner Arbeit fort und schien mich erst zu bemerken, als der Kran aus dem Weg war, und selbst dann sagte er bloß: «Señor Hausner.»
    Ich nickte ihm zu. «Mendy.»
    Er klaubte eine halbgerauchte Zigarre aus der Brusttasche seines dreckigen Hemdes, steckte sie in die schmale Öffnung zwischen
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