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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla
Autoren: Philip Kerr
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«Jamaikaner, Haitianer, Dominikaner, Bahamaer – eine karibische Stadt. Und natürlich gibt es nirgendwo auf Kuba mehr Rebellion. Jede Revolution beginnt in Santiago. Vielleicht liegt es daran, dass die Leute, die dort leben, alle auf die eine oder andere Art miteinander verwandt sind.»
    Sie steckte eine Zigarette in eine kleine bernsteingelbe Zigarettenspitze und zündete sie mit einem hübschen Tischfeuerzeug an.
    «Wussten Sie zum Beispiel, dass Omara mit dem Mann verwandt ist, der sich in Santiago um Ihr Boot kümmert?»
    Mir schwante allmählich, dass Doña Marina mit ihrer Plauderei auf etwas Bestimmtes hinauswollte, denn nicht nur Mr. Greene zog es nach Haiti, sondern auch mich. Allerdings hatte meine Reise eigentlich geheim bleiben sollen.
    «Nein, wusste ich nicht.» Ich sah auf die Uhr, doch ehe ich verkünden konnte, dass es Zeit zu gehen sei, hatte Doña Marina mich schon in ihren privaten Salon bugsiert und bot mir einen Drink an. Und da sie von meinem Boot wusste, sollte ich mir wohl besser anhören, was sie zu sagen hatte. Also nahm ich dankend an.
    Sie holte einen in der Flasche gereiften Rum und goss mir großzügig ein.
    «Auch Mister Greene schätzt unseren Havanna-Rum», bemerkte sie.
    «Ich finde, Sie sollten jetzt zur Sache kommen», sagte ich. «Sie nicht auch?»
    Sie tat es.
     
    So kam es, dass etwa eine Woche später eine junge Frau auf dem Beifahrersitz meines Chevys saß, als ich in südwestlicher Richtung auf Kubas meistbefahrenem Highway nach Santiago fuhr, ans andere Ende der Insel. Die Ironie entging mir nicht. Ich war drauf und dran, einem Geheimpolizisten zu entwischen, der mich erpressen wollte, und war dabei an eine Puffmutter geraten, die viel zu clever war, um mir offen zu drohen, mir aber einen Gefallen abverlangte, den ich ihr nur äußerst ungern tat: nämlich eine
chica
aus einer anderen
casa
in Havanna auf meinen «Angelausflug» nach Haiti mitzunehmen. Mit Sicherheit kannte Doña Marina Leutnant Quevedo und wusste auch, dass er von meinem kleinen Bootstrip keineswegs begeistert wäre. Was sie höchstwahrscheinlich nicht wusste, war, dass er gedroht hatte, mich nach Deutschland abzuschieben, wo ich wegen Mordes gesucht wurde, wenn ich mich nicht bereit erklärte, den Unterweltboss Meyer Lansky auszuspionieren, der mein Arbeitgeber war. Jedenfalls blieb mir kaum was anderes übrig, als ihrer Bitte nachzukommen, auch wenn ich auf eine derartige Beifahrerin liebend gern verzichtet hätte. Melba Marrero wurde nämlich im Zusammenhang mit dem Mord an einem Polizeihauptmann gesucht, und Doña Marina hatte Freunde, die Melba so schnell wie möglich von der Insel schaffen wollten.
    Melba Marrero war Anfang zwanzig, allerdings gab sie sich gern älter. Ich vermute, sie wollte einfach ernst genommen werden, und vielleicht hatte sie ja Hauptmann Balart erschossen, weil er es nicht getan hatte. Wahrscheinlicher ist, dass sie ihn erschossen hatte, weil sie mit Castros kommunistischen Rebellen in Verbindung stand. Sie hatte kaffeebraune Haut und ein fein geschnittenes, knabenhaftes Gesicht mit einem angriffslustigen Kinn. In ihren dunklen Augen schien ständig ein Gewitter aufzuziehen. Ihr Haar war nach der italienischen Mode geschnitten – kurz und stufig mit ein paar zarten, ins Gesicht gekämmten Locken. Sie trug eine schlichte weiße Bluse, eine enge beige Hose, einen hellbraunen Ledergürtel und farblich passende Handschuhe. Sie sah aus, als würde sie gleich auf ein Pferd steigen, und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie das Pferd vor Freude laut wieherte.
    «Warum fahren Sie kein Cabrio?», fragte sie, als wir kurz vor Santa Clara waren, wo wir unseren ersten Zwischenstopp einlegen wollten. «Für Kuba braucht man ein Cabrio.»
    «Ich mag keine Cabrios. Damit erregt man Aufmerksamkeit. Und ich bin nicht scharf drauf, Aufmerksamkeit zu erregen.»
    «Aha, dann sind Sie wohl schüchtern, was? Oder haben Sie irgendwas ausgefressen?»
    «Weder noch. Ich werde nur nicht gern beobachtet.»
    «Haben Sie eine Zigarette?»
    «Im Handschuhfach ist ein Päckchen.»
    Sie öffnete mit einem kräftigen Fingerdruck die Klappe und ließ sie herunterfallen.
    «Old Gold. Ich mag keine Old Gold.»
    «Du magst mein Auto nicht. Du magst meine Zigaretten nicht. Was magst du eigentlich?»
    «Wen interessiert das schon.»
    Ich schielte zu ihr rüber. Ihr Mund schien sich permanent zu einem Fletschen verziehen zu wollen, und dieser Eindruck wurde durch die kräftigen weißen Zähne noch verstärkt.
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