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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis
Autoren: Anne LaBastille
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Kein Heim

    Das Zufrieren des Black Bear Lake ist der Auftakt zum Winter. Das Zufrieren bedeutet den Anfang einer harten Zeit. Das Zufrieren bedeutet Auftakt zum Einsamsein. An irgendeinem Novemberabend beginnt es mit ersten filigranen Eisfingern, die sich am Ufer entlangtasten. Am Morgen begrüßt mich Eisansatz an der Wasserlinie des Bootes, zarte Eishaut auf den Wasserkübeln. In manchen Nächten friert der See schon halb zu, und morgens zersplittern Wind und Wellen die dünne Decke in Trillionen Scherben. Das Zufrieren braucht Zeit. Das Zufrieren ist unerbittlich. Nichts und niemand kann es aufhalten. Das Zufrieren ist ein Naturereignis, so wichtig wie Sonnwenden, Tag-Nacht-Gleichen, Vollmonde und Finsternisse. Es hat Auswirkungen auf die Lebensabläufe von vielen Fisch- und Wildtierarten. Und dramatisch schneidet es auch in mein Leben ein, hier an diesem See in den Adirondack Mountains, wo ich allein in der Blockhütte lebe, die ich selber gebaut habe.
    Wenn ich mit meinem kleinen Außenborder-Aluminiumboot auf dem See unterwegs bin, fühle ich, wie schwer das Wasser geworden ist, wie dunkel, wie zäh. Die Schraube scheint sich durch Sirup zu drehen, und das Boot läßt sich schwerfälliger manövrieren. Ein paar Grad über dem Gefrierpunkt ist Wasser tatsächlich dichter als bei null Grad. Gott helfe mir, wenn ich hineinfalle. Wenn der Schock mich nicht sofort tötet, dann das kalte Wasser binnen drei Minuten.
    An einem regnerischen, stürmischen Abend in meinem ersten Winter am Black Bear Lake sprang ich einmal am menschenleeren öffentlichen Landesteg mit wild im Wind wehendem Poncho in mein Boot. Aus Versehen hatte ich den Vorwärtsgang eingeschaltet gelassen, was ich sonst fast nie tue. Mit dem flatternden Poncho kämpfend, vergaß ich wie sonst zu prüfen, ob der Hebel auf Leerlauf stand. Spreizbeinig über dem Sitz stehend, zog ich die Anlaßschnur. Knatternd sprang der Motor an, das Boot machte einen Satz nach vorn und kippte gleichzeitig seitwärts. Ich stürzte hart, und um ein Haar wäre ich über Bord gegangen. Als ich das Boot wieder in der Gewalt hatte, fing ich zu zittern an. Nicht auszudenken, was hätte sein können — verzweifelter Rettungssprung zum Ufer, verheddern mit dem Poncho unter Wasser, gejagt werden von einem wildgewordenen Motorboot. Ich nahm mir vor, künftig beim einsetzenden Frost mit dem Boot vorsichtiger zu sein.
    Ein anderes Mal ging ich, ebenfalls an einem Novemberabend, mit zwei Wassereimern und einer Taschenlampe zum Seeufer. Schnee wirbelte durch die Luft, und schwere Wellen schlugen an den Anleger. Durch den Sturm drang unerwartetes Bootsgeräusch. Seltsam. Kein Haus an meinem See-Ende hatte ich übers Wochenende bewohnt gesehen. Ich leuchtete mit der Taschenlampe aufs Wasser hinaus, und ein paar Minuten später schwankte ein gefährlich überladenes Boot heran. Fünf verängstigte Jäger blinzelten ins Licht.
    »Wir haben uns verirrt!« rief einer.
    »Können Sie uns helfen? Uns über den See führen?« rief ein zweiter. »Wir fahren seit einer halben Stunde im Kreis und können den Weg nicht finden.«
    Ich lief zur Hütte und schnappte mir Handschuhe, Parka und Poncho. Schon hatte ich Angst vor der Fahrt. Den Motor startend, bat ich zwei der Jäger, in mein Boot umzusteigen, und plazierte die Lampe so, daß der Bootsführer hinter mir nicht geblendet wurde. Als wir drüben den öffentlichen Anleger erreichten, sprangen sie an Land, stampften mit den Füßen und wischten ihre Gewehre trocken, froh, dem Sturm entronnen zu sein und die Geborgenheit ihrer Autos erreicht zu haben. Der älteste der Jäger drückte mir eine Fünfdollarnote in die Hand. Ich protestierte.
    »Bitte, nehmen Sie«, drängte er. »Fürs verfahrene Benzin.«
    Ich wandte mich zum Gehen. Es war jetzt stockdunkel geworden, das Schneetreiben dichter. Mitten auf dem See, allein, verlor ich die Landorientierung. Mein einziger Richtungsweiser war der Sturm, der mir den Rücken peitschte. Noch nie waren mir die zweieinhalb Kilometer so lang und so gefährlich vorgekommen. Ich versuchte abzuschätzen, wo die felsigen Untiefen, die Insel und mein kleines felsiges Kap lagen, damit ich mir nicht den Propeller abscherte oder auflief. Reparaturen oder Rudern bei diesem Wetter — kein freundlicher Gedanke. Nach fünfzehn Minuten wendete ich neunzig Grad nach rechts und vertraute auf gut Glück darauf, mein Land vor mir zu haben. Kein Licht im weiten Umkreis am Black Bear Lake. Auch in meiner eigenen Blockhütte
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