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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla
Autoren: Philip Kerr
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dreihundert Kilometer östlich von Havanna legten wir eine Pause ein. Santa Clara war ein malerisches, beschauliches Städtchen. Den Park im Zentrum säumten etliche alte Wohnhäuser und Hotels. Melba machte einen Spaziergang, während ich mich auf die Terrasse des Hotel Central setzte und allein zu Mittag aß. Das war mir nur recht. Als sie zurückkam, fuhren wir weiter.
    Am frühen Abend erreichten wir Camaguey. Spitzwinkelige Häuser mit großen Blumenkübeln davor prägten das Straßenbild. Parallel zum Highway rollte ein Güterzug in die entgegengesetzte Richtung. Er war mit Baumstämmen beladen, die in der waldreichen Umgebung geschlagen worden waren.
    «Hier übernachten wir», erklärte ich.
    «Wir sollten lieber weiterfahren.»
    «Kannst du fahren?»
    «Nein.»
    «Ich auch nicht. Nicht mehr. Ich bin geschafft. Bis Santiago sind es noch dreihundert Kilometer, und wenn wir nicht bald anhalten, fahre ich uns beide noch direkt in die Leichenhalle.»
    In der Nähe einer Brauerei – einer der wenigen auf der Insel – passierten wir einen Polizeiwagen, und erneut dachte ich darüber nach, was Melba getan hatte.
    «Wenn du einen Polizisten erschossen hast, sind die bestimmt ganz scharf drauf, dich zu schnappen», sagte ich.
    «Und wie. Sie haben die
casa
in die Luft gejagt, in der ich gearbeitet habe. Einige der Mädchen wurden schwer verletzt, manche sogar getötet.»
    «Deshalb hat Doña Marina sich also bereit erklärt, dir aus Havanna rauszuhelfen.» Ich nickte. «Ja, das leuchtet mir ein. Wenn eine
casa
in die Luft fliegt, ist das schlecht für alle anderen. Wir sollten uns ein Zimmer teilen, das ist sicherer. Ich sage, dass du meine Frau bist. Dann musst du keinen Ausweis vorzeigen.»
    «Hören Sie, Señor Hausner, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mich mit nach Haiti nehmen. Aber eines sollten Sie wissen. Ich habe die Rolle der
chica
nur gespielt, um an Hauptmann Balart ranzukommen.»
    «Gut, dass du das sagst.»
    «Ich hab es für die –»
    «Revolution getan. Ich weiß. Hör mal, Melba, du brauchst dir um deine Tugend, falls davon überhaupt noch was übrig ist, keine Sorgen zu machen. Ich hab dir doch gesagt, ich bin müde. Ich würde sogar in den Flammen eines brennenden Hauses einschlafen. Ein Sessel oder ein Sofa tut’s also, und du kannst das Bett haben.»
    Sie nickte. «Danke, Señor.»
    «Und hör endlich auf, mich Señor zu nennen. Ich heiße Carlos. Ich bin ab jetzt dein Mann, schon vergessen?»
    Wir stiegen im Gran Hotel im Stadtzentrum ab und gingen auf unser Zimmer. Ich machte es mir sofort in meinem Nachtlager gemütlich, sofern das auf dem Fußboden möglich war. Der russische Boden im Sommer 1941 hatte das bequemste Bett abgegeben, in dem ich je geschlafen hatte, im Vergleich dazu war dieser hier unbequem. Andererseits war ich auch längst nicht so erschöpft, wie ich es damals war. Gegen zwei Uhr morgens wachte ich auf. Melba kniete neben mir, in ein Laken gewickelt.
    «Was ist los?» Ich setzte mich auf und ächzte vor Schmerz.
    «Ich hab Angst», sagte sie.
    «Wovor denn?»
    «Weißt du, was die mit mir anstellen, wenn sie mich schnappen?»
    «Die Polizei?»
    Sie nickte und begann zu frösteln.
    «Und was soll ich da machen? Eine Gutenachtgeschichte erzählen? Hör zu, Melba. Morgen früh fahr ich dich nach Santiago, wir gehen auf mein Boot, und morgen Abend bist du in Haiti und in Sicherheit, okay? Aber jetzt würde ich gern weiterschlafen. Also, wenn es dir nichts ausmacht …»
    «Macht mir aber was aus», sagte sie. «Im Bett ist es viel kuscheliger als hier auf dem Boden. Und es ist breit genug für zwei.»
    Damit hatte sie zweifellos recht. Das Bett war etwa so groß wie ein großes Stück Weide für einen Ziegenbock allein. Apropos Bock: Wie sie meine Hand nahm und mich rüber zum Bett zog, das war schon ziemlich verlockend. Auf jeden Fall war es der Anblick, als sie das Laken auf den Boden gleiten ließ, was mich natürlich nicht störte, es war schließlich eine warme Nacht. Ich kann besonders gut denken, wenn ich so nackt bin, wie Melba es war. Ich versuchte, mich auf die Vorstellung zu konzentrieren, wie ich im Bett brav neben ihr schlief, aber es funktionierte nicht, weil sie mir vor Augen führte, was im Schaufenster angeboten wurde, und ich war kurz davor, mir die Nase an der Scheibe platt zu drücken, um genauer hinzusehen. Nicht, dass ich ernsthaft glaubte, sie sei scharf auf mich. Ich hab noch nie begriffen, warum eine Frau überhaupt einen Mann begehrt – wo Frauen
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