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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla
Autoren: Philip Kerr
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Santiago stammten von dort, und mit den rotgedeckten Häusern und der kleinen Kapellenruine sah es dort sehr malerisch aus. Aber das war nichts im Vergleich zu dem Anblick von Melbas Bikinihöschen.
    Die See war ruhig, bis wir die Hafenausfahrt erreichten, wo die Dünung stärker wurde. Ich schob den Gashebel nach vorn und hielt das Boot auf einem geraden Ostsüdostkurs, bis Santiago nicht mehr zu sehen war. Hinter uns pflügte das Boot eine große weiße Narbe in den Ozean, Hunderte Meter lang. Melba saß in dem Anglersessel und quietschte vor Begeisterung, als das Boot schneller wurde.
    «Ist das zu fassen?», sagte Melba. «Ich lebe auf einer Insel und bin das erste Mal auf einem Boot.»
    «Ich bin froh, wenn wir wieder festen Boden unter den Füßen haben», sagte ich und nahm eine Flasche Rum aus der Kartenschublade.
    Drei bis vier Stunden später wurde es dunkel, und ich konnte auf unserer Backbordseite die Lichter der US -Navy-Basis Guantánamo glitzern sehen, wie die Sterne einer nahen Galaxie, Tausende von Jahren alt. Aber zugleich kam mir der Anblick vor wie eine Zukunftsvision, in der die amerikanische Demokratie die Welt regierte, in einer Hand einen Colt und in der anderen einen Streifen Kaugummi. Irgendwo in dieser tropischen Dunkelheit waren Tausende Yankees in weißen Uniformen mit den sinnlosen Routineabläufen des kolonialen Seefahrerdienstes beschäftigt. Neue Feinde und der Hunger nach neuen Siegen ließen sie in ihren schwimmenden stahlgrauen Städten des Todes hocken, wo sie Coca-Cola tranken, ihre Lucky Strikes rauchten und sich bereitmachten, den Rest der Welt von dem unsinnigen Bedürfnis zu befreien, anders sein zu wollen als sie selbst. Denn jetzt waren nicht mehr die Deutschen, sondern die Amerikaner die Herrenrasse, und statt Hitler und Stalin war nun Uncle Sam das Gesicht eines neuen Weltreiches.
    Melba sah, wie sich mein Mund verzog, und schien meine Gedanken zu lesen. «Ich hasse sie», sagte sie.
    «Wen? Die
yanquis

    «Wen sonst? Unsere lieben Nachbarn haben schon immer versucht, aus Kuba einen ihrer Vereinigten Staaten zu machen. Und ohne sie wäre Batista niemals an der Macht geblieben.»
    Ich wollte mich nicht auf eine Diskussion einlassen. Weil wir die Nacht gemeinsam verbracht hatten und vor allem, weil ich vorhatte, dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten, sobald wir ein nettes Hotel gefunden hatten. Ich hatte gehört, das Le Refuge in Kenscoff, zehn Kilometer außerhalb von Port-au-Prince, wäre da genau das Richtige. Der Ferienort liegt tausendvierhundert Meter über dem Meeresspiegel und hat das ganze Jahr hindurch ein angenehmes Klima. Ungefähr so lange hatte ich auch vor dortzubleiben. Natürlich hatte auch Haiti seine Probleme, genau wie Kuba, aber das waren nicht meine Probleme. Also was kümmerten sie mich? Ich hatte andere Sorgen, zum Beispiel, dass mein argentinischer Pass bald ablief. Und jetzt stand ich vor der Herausforderung, ein kleines Boot sicher gegen den Wind zu steuern. Vielleicht hätte ich keinen Alkohol trinken sollen, jedenfalls fand ich es selbst mit den Fahrlichtern der
La Guajaba
nervenaufreibend, einen Kahn in der Dunkelheit über die offene See zu lenken. Mir war klar, dass wir jederzeit mit irgendwas kollidieren könnten – einem Riff oder einem Wal –, und ich wusste, ich würde mich erst wieder entspannen können, wenn es hell wurde. Bis dahin, so hoffte ich, würde die halbe Strecke bis Hispaniola schon hinter uns liegen.
    Doch plötzlich sah ich etwas, das mir viel mehr Kopfzerbrechen bereitete. Ein anderes Schiff näherte sich rasch von Norden her. Für ein Fischerboot war es zu schnell, und die großen, hellen Suchscheinwerfer, die die Dunkelheit zerrissen, ließen keinen Zweifel daran, dass ein Patrouillenboot der US Navy auf uns zusteuerte.
    «Was ist das für ein Schiff?», fragte Melba.
    «Sieht nach der amerikanischen Marine aus.»
    Selbst über die beiden Chrysler-Motoren hinweg hörte ich Melba schlucken. Sie sah noch immer schön aus, aber auch sehr ängstlich. Sie fuhr herum und starrte mich aus weit aufgerissenen braunen Augen an.
    «Scheiße, was machen wir denn jetzt?»
    «Nichts», sagte ich. «Das Boot da ist vermutlich sehr viel schneller als unseres, und die Leute darauf sind ganz sicher sehr viel besser bewaffnet als wir. Am besten, du gehst nach unten, legst dich ins Bett und bleibst da. Ich regele das schon.»
    Sie schüttelte den Kopf. «Ich lass mich nicht verhaften», sagte sie. «Die übergeben mich der
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