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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla
Autoren: Philip Kerr
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er sich ein Foto von ihr neben seiner Hängematte wünschte. Die beiden waren sich schon mal begegnet. Da war ich mir sicher, und er war sich auch sicher, und als die Amis zurück ins Ruderhaus gingen, zog der Unteroffizier seinen Vorgesetzten beiseite und flüsterte ihm etwas zu.
    Als ihr Gespräch hitziger wurde, überlegte ich, ob ich mich einmischen sollte, doch dann öffnete der Offizier die Knöpfe am Holster seiner Seitenwaffe, was mich veranlasste, ans Heck zu gehen und mich in den Anglersessel zu setzen. Ich glaube, ich lächelte sogar dem Mann an dem 50-Kaliber-Teil zu, aber plötzlich fand ich, dass der Anglersessel wie ein elektrischer Stuhl aussah und sich auch so anfühlte, deshalb stand ich wieder auf und setzte mich auf die Eiskiste, die zweitausend Pfund Eis fasste. Cool bleiben. Wenn Fische oder Eis in der Kiste gewesen wären, wäre ich liebend gern reingekrochen. Stattdessen nahm ich betont gelassen noch einen Schluck aus der Flasche, denn ich wollte mir nicht anmerken lassen, dass meine Nerven bis zum zerreißen gespannt waren. Aber es war nichts zu machen. Die Amis hatten mich bereits am Haken, und ich hätte am liebsten wie ein Fisch so lange wild gezappelt, bis ich ihn wieder los war.
    Als der Offizier zurück zum Heck kam, glänzte in seiner Hand ein .45er Colt. Entsichert. Die Waffe war nicht auf mich gerichtet, noch nicht. Aber sie sollte verdeutlichen, dass es keinen Raum für Verhandlungen geben würde.
    «Sir, ich fürchte, ich muss Sie beide leider bitten, mich zurück nach Guantánamo zu begleiten», sagte er höflich, fast so, als hätte er keine Schusswaffe in der Hand. Wie ein echter Amerikaner eben.
    Ich nickte bedächtig. «Darf ich fragen, warum?»
    «Das werden Sie erfahren, wenn wir in Gitmo sind», entgegnete er.
    «Wie Sie meinen, Sir.»
    Er winkte zwei Matrosen heran und bedeutete ihnen, an Bord zu kommen, was mir nur recht war, denn die beiden platzierten sich zwischen mich und Maschinengewehr. Da hörten wir einen lauten Knall: ein Pistolenschuss, der aus der vorderen Kabine kam. Ich sprang auf und erkannte im selben Moment, dass das keine gute Idee war.
    «Lasst ihn nicht aus den Augen», brüllte der Offizier und ging unter Deck, um nachzusehen, was los war, während ich zurückblieb – mit zwei Colts, die auf meinen Bauch gerichtet waren, und einem .50er Maschinengewehr, das auf mein Ohrläppchen zielte. Ich setzte mich wieder in den Anglersessel, der kreischte wie eine Kettensäge, als ich mich darin zurücklehnte, um in die Sterne zu blicken. Man musste nicht Madame Blavatsky sein, um zu erkennen, dass sie nicht gut standen. Nicht für Melba. Und für mich wahrscheinlich auch nicht.
    Wie sich herausstellte, verhießen die Sterne auch für den amerikanischen Unteroffizier nichts Gutes. Als er an Deck getaumelt kam, glich er dem Karoass oder vielleicht auch dem Herzass: Genau in der Mitte seines weißen Hemds prangte ein kleiner roter Fleck, der vor unseren Augen größer zu werden begann. Einen Moment lang schwankte er benommen, dann fiel er plump auf den Hintern. Eigentlich sah er genauso aus, wie ich mich gerade fühlte.
    «Ich bin angeschossen», sagte er überflüssigerweise.

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 2 KUBA 1954
    Etliche Stunden später. Der angeschossene Unteroffizier war ins Krankenhaus von Guantánamo gebracht worden, Melba lief sich ihre Stilettos in einer Gefängniszelle ab, und ich hatte meine Version der Geschichte erzählt, zweimal. Ich hatte Kopfschmerzen, aber das war mein geringstes Problem. Wir saßen zu viert in einem feuchten, stickigen Büro im Quartier der US -Navy-Polizei. Polizisten in Matrosenanzügen. Die drei, die sich angehört hatten, was ich zu sagen hatte, schienen meine Geschichte auch beim zweiten Mal nicht besonders glaubwürdig zu finden. Sie rutschten mit ihren fetten Hinterteilen auf überforderten Stühlen herum, zupften gelangweilt winzige Fädchen und Fusseln von den makellosen weißen Uniformen und glotzten auf die Spitzen ihrer glänzenden schwarzen Schuhe, in denen sich ihre Gesichter spiegelten. Es war wie ein Verhör durch ein Gewerkschaftsgremium der Krankenpfleger.
    Es war still im Raum, bis auf das Summen der Neonleuchten an der Decke und das Klackern einer Schreibmaschine von der Größe der
USS Missouri
. Jedes Mal, wenn ich eine Frage beantwortete und der Navy-Bulle in die riesigen Tasten haute, hörte es sich an, als würden irgendwem die Haare mit einer sehr großen und sehr scharfen Schere geschnitten.
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