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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla
Autoren: Philip Kerr
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Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendwer sie anfassen konnte, ohne dabei einen Finger zu verlieren. Sie seufzte, verschränkte die Hände und schob sie zwischen die Knie.
    «Erzählen Sie mir Ihre Geschichte, Señor Hausner.»
    «Ich habe keine.»
    Sie zuckte die Achseln. «Aber bis Santiago sind es noch über tausend Kilometer.»
    «Lies doch ein Buch.» Ich wusste, dass sie eins mithatte.
    «Gute Idee.» Sie öffnete ihre Handtasche, nahm eine Brille und ein Buch heraus und fing an zu lesen.
    Nach einer Weile gelang es mir, einen Blick auf den Titel zu werfen. Sie las
Wie der Stahl gehärtet wurde
von Nikolai Ostrowski. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
    «Was ist denn so lustig?»
    Ich deutete mit einem Nicken auf das Buch auf ihrem Schoß. «Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.»
    «Das Buch handelt von jemandem, der an der Oktoberrevolution teilnimmt.»
    «Dachte ich mir schon.»
    «Und woran glauben Sie?»
    «An nichts, eigentlich.»
    «Damit ist niemandem geholfen.»
    «Als ob das eine Rolle spielt.»
    «Etwa nicht?»
    «Meiner Meinung nach gewinnt die Partei der Ungläubigen regelmäßig die Wahl gegen die Partei der Bruderliebe. Das Volk und das Proletariat brauchen keine Hilfe. Jedenfalls nicht deine oder meine.»
    «Das sehe ich anders.»
    «Oh, das kann ich mir vorstellen. Aber ist doch komisch, findest du nicht? Dass wir beide nach Haiti abhauen. Du, weil du an etwas glaubst, und ich, weil ich an gar nichts glaube.»
    «Sie glauben also an gar nichts. Marx und Engels hatten recht. Die Bourgeoisie produziert ihre eigenen Totengräber.»
    Ich lachte.
    «Eines haben wir jedenfalls geklärt», sagte sie. «Sie sind also tatsächlich auf der Flucht.»
    «Ja. Ich kenne es nicht anders. Falls dich das wirklich interessiert, es ist die alte, immer gleiche Geschichte. Der Fliegende Holländer. Der Ewige Jude. Ich bin ziemlich viel rumgekommen. Ich dachte, hier auf Kuba wäre ich sicher.»
    «Auf Kuba ist keiner sicher», sagte sie. «Nicht mehr.»
    «Ich war aber sicher», sagte ich, ohne auf sie einzugehen. «Bis ich versucht habe, den Helden zu spielen. Dabei hatte ich eines vergessen: Ich hab nicht das Zeug zum Helden. Hatte ich noch nie. Außerdem will die Welt keine Helden mehr. Die sind aus der Mode gekommen, wie die Rocklänge von letztem Jahr. Jetzt sind Freiheitskämpfer und Informanten gefragt. Tja, für das eine bin ich zu alt, und für das andere hab ich zu viel Skrupel.»
    «Was ist denn passiert?»
    «Ein unausstehlicher Leutnant vom militärischen Geheimdienst wollte aus mir einen Spitzel machen, aber ich habe von der Idee nichts gehalten.»
    «Dann tun Sie das Richtige», sagte Melba. «Es ist keine Schande, kein Polizeispitzel sein zu wollen.»
    «Das klingt ja fast so, als würde ich etwas Ehrenhaftes tun. So ist es nicht.»
    «Wie dann?»
    «Ich will einfach nicht abhängig sein, von niemandem. Das kenne ich zur Genüge aus dem Krieg. Ich bin lieber mein eigener Herr. Aber das ist nicht alles. Spionage ist gefährlich. Und besonders gefährlich, wenn eine ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass man erwischt wird. Aber ich vermute mal, dass du das inzwischen selbst am besten weißt.»
    «Was hat Marina Ihnen über mich erzählt?»
    «Alles, was nötig war. Ich hab die Ohren auf Durchzug geschaltet, nachdem sie gesagt hatte, dass du einen Polizisten umgelegt hast. Mehr gibt es da nicht zu wissen. Jedenfalls nicht für mich.»
    «Das klingt, als würden Sie es missbilligen.»
    «Mit Polizisten ist es wie mit anderen Menschen auch», sagte ich. «Manche sind gut und manche schlecht. Ich war selbst mal so ein Polizist. Ist lange her.»
    «Ich hab es für die Revolution getan», sagte sie.
    «Ich hab auch nicht geglaubt, dass du es für eine Kokosnuss getan hättest.»
    «Er war ein Schwein, und er hatte es verdient, und ich hab es für –»
    «Ich weiß, du hast es für die Revolution getan.»
    «Finden Sie nicht, dass Kuba die Revolution braucht?»
    «Natürlich könnte die Lage besser sein. Aber jede Revolution verursacht erst eine Menge Rauch, und dann zerfällt sie zu Asche. Deine wird auch nicht besser sein als all die anderen davor. Das garantier ich dir.»
    Melba schüttelte energisch ihren hübschen Kopf, aber ich war gerade in Fahrt gekommen: «Wenn nämlich irgendwo jemand von einer besseren Gesellschaft redet, kannst du drauf wetten, dass er vorhat, sie auf ein paar Stangen Dynamit zu erbauen.»
    Danach schwieg sie und ich auch.
    Rund
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