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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1
Autoren: Marion Chesney
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zu
bringen.
    Das
Herrenhaus war ein stattliches Backsteingebäude, das im Jahre 1725 im
Barockstil erbaut worden war. Nach Norden und Osten erstreckte sich eine
baumreiche Parklandschaft. Im Salon, in den der Pfarrer gebeten wurde, standen
aufeinander abgestimmte englische, französische und holländische Möbel,
darunter Lehnstühle im Louis-XVI.-Stil, die mit Beauvais-Stoff bezogen waren,
und ein paar schöne Chippendalestühle mit durchbrochenen Rükkenlehnen. Die
Wände waren mit handbemalter chinesischer Tapete bedeckt.
    »Ich werde
mich vergewissern, ob der Herr zu Hause ist«, sagte der beleibte Diener im
Londoner Cockney-Dialekt,
der in deutlichem Widerspruch zu seiner gewählten Ausdrucksweise stand.
    »Fatzke«,
sagte der Pfarrer, aber er sagte es nicht laut. Ihm war nicht danach zumute,
seine Zeit damit zu vergeuden, die Dienerschaft seines Bruders in die
Schranken zu verweisen.
    Er
versuchte seine Gereiztheit zu bekämpfen, während die Minuten verstrichen und
sein Bruder nicht erschien. Bedächtig ging er zum Kamin hinüber und strich
seine Halskrause glatt. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß es dem Vorhaben,
seinem Bruder Geld aus der Tasche zu ziehen, vielleicht dienlicher gewesen wäre,
einen entsprechend offiziellen Anzug zu tragen statt seines alten Plüschjagdrocks
mit den vielen Taschen, den grasgrünen Bändern und den sehr dunklen Stulpen.
    Als er ein
diskretes Hüsteln vernahm, drehte er sich um. Sir Edwin und Lady Edwin hatten den
Raum betreten.
    Beide waren
groß und stattlich und tadellos angezogen. Sir Edwin kleidete sich im Modestil
Brummells; die Schwänze seines blauen Fracks waren gerade abgeschnitten, und in
den Falten befanden sich Taschen. Angekrauste und ausgepolsterte Ärmel
verliehen diesem ›Cutaway‹ einen ›Zug zum Höheren‹. Sir Edwins
Hemdkragen war so hoch und so steif gestärkt, daß er Mühe hatte, seinen Kopf zu
bewegen. Dazu trug er eine kanariengelbe, engsitzende Hose aus elastischem
Gewebe mit hoher Taille und leichte Schuhe, die mit kleinen Schnallen verziert
waren.
    Sein
zurückgekämmtes, graues Haar türmte sich auf seinem Kopf und bildete über den
Schläfen Locken. Er war so dünn wie der Pfarrer stämmig. Während das Gesicht
des Pfarrers rund und gerötet war, war das des Baronets schmal und blaß. Der
Pfarrer hatte blitzende kleine Knopfäuglein, die in Fettpolster eingebettet
waren. Die Augen des Baronets waren von einem ausgewaschenen Blau mit einer
eigentümlich blauen Iris, die ihm das blinde Aussehen mancher klassischer
Statuen aus dem achtzehnten Jahrhundert verlieh.
    Lady Edwin
war ebenfalls groß. Ihr Gesicht wäre schmal gewesen, hätte sie es nicht mit
Hilfe von Wachseinlagen, die sie an der Innenseite der Wangen trug, so
verändert, daß sie wie eine holländische Puppe wirkte – ein Stil, der gerade
aus der Mode kam. Eine Folge ihrer Einlagen war auch ihre gedämpfte, gleichsam
geknebelte Sprechweise, die den Neid aller Frauen im Dorf, die einen Hang zur
Noblesse hatten, erregte.
    Die Dame
des Hauses trug ein hochtailliertes, gerade geschnittenes Gewand mit hohem
Kragen und einer üppigen Halskrause aus Musselin. Der modisch kurze Saum ohne
Schleppe zeigte ihre Fußspitzen und war mit spanischer Stickerei verziert. Ihr
braunes Haar trug Lady Edwin kurz und vorne gekräuselt.
    »Da seid
ihr ja«, sagte der Pfarrer herzlich. »Freut mich, dich zu sehen, Bruder ... Gnä'
Frau.« Er machte eine ruckartige Verbeugung in Lady Edwins Richtung.
    Sir Edwin
schaute aus dem Fenster in den Garten, wo der Zierteich matt unter einer
Eisdecke schimmerte.
    »Zu kalt,
um auf die Jagd zu gehen, Charles«, sagte er mit strenger, unbeteiligter
Stimme. »Du scheinst dich zu langweilen. Ich nehme an, das ist der Grund für
deinen Besuch.«
    »Ganz und
gar nicht! Aber ganz und gar nicht!« versicherte der Pfarrer, wobei er nervös
seine großen, kantigen Hände rieb. »Ich will wissen, wie es euch geht. Wie geht
es Josephine und Emily?« Josephine und Emily waren die Töchter des Baronets.
    »Sie blühen
von Tag zu Tag mehr auf – wirklich«, antwortete Lady Edwin mit schwärmerischem
Lächeln. »Squire Radfort hat erst neulich gesagt, daß sie die schönsten Mädchen
in der Grafschaft sind.«
    »Sieht
immer noch so schlecht, was?« brummte der Pfarrer teilnahmsvoll.
Er achtete nicht sehr auf seine eigenen Töchter und überließ der ältesten,
Minerva, die Sorge für das Wohlergehen der anderen fünf. Aber eines wußte er –
denn alle hatten es ihm gesagt –,
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