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Die Silberschmiedin (2. Teil)

Die Silberschmiedin (2. Teil)

Titel: Die Silberschmiedin (2. Teil)
Autoren: Ines Thorn
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Kapitel 1
    Frankfurt am Main im August 1494
     
    Die Hitze der letzten Augusttage hatte der Stadt Frankfurt und ihren Bewohnern zugesetzt. In den Straßen und Gassen stank es zum Gotterbarmen. Abfälle verrotteten in den Gräben zwischen den Häusern, Myriaden von Fliegen schwirrten umher, setzten sich in die Augen der räudigen Hunde, die erschöpft am Rande der Gassen lagen. Die Luft war stickig, machte das Atmen schwer, Haut und Haar klebrig. Händler stritten mit Hausfrauen, Ehemänner versetzten ihren Frauen Maulschellen, Mägde zogen einander an den Haaren, und die alten Leute liefen in die Kirchen und stifteten Kerzen, wo selbst der Priester nur stöhnte und sich den Schweiß vom Gesicht wischte.
    Doch plötzlich schlug das Wetter um. Die Wolken, die schwer und träge wie nasse Wäschestücke über den Dächern hingen, ballten sich zu wütenden schwarz-violetten Gebirgen zusammen. Wind kam auf, hetzte durch die Straßen und riss an den Hauben der ehrbaren Frauen. Die Menschen zogen den Kopf zwischen die Schultern und hasteten heimwärts, den Blick fest auf die Gassen gerichtet.
    Die Händler auf dem Markt packten ihre Siebensachen zusammen, ließen die letzten Kunden einfach stehen und beeilten sich, als stünde das Jüngste Gericht bevor. Ein seltsames schwefelgelbes Licht lag über der Stadt. Unheilvolle Ahnungen wurden flüsternd weitergegeben. Zürnte ihnen Gott? Schickte er eine neue Sintflut?
    Am Main zogen die Fischer ihre Kähne weit auf die Uferwiesen hinauf und banden sie mit dicken Seilen an die wenigen Bäume. Doch plötzlich ließen sie alles stehen und liegen, vergaßen ihre Befürchtungen und eilten ans Ufer.
     
    Eva saß im Wohnraum des reichen Bürgerhauses in der Krämergasse an einem Schreibpult, an dem ihre Mutter für gewöhnlich die Korrespondenz erledigte. Sie spielte mit einem Gänsekiel, dessen Spitze von der Tusche ganz schwarz war, und sah zu ihrer Mutter.
    Sibylla stand am Fenster und spähte durch die gelben Butzenscheiben. Eine ältere, überaus unansehnliche Magd stand hinter ihr, hielt einen Rosenkranz zwischen den Fingern und murmelte ununterbrochen Gebete: «Herr Jesus, verschone uns vor dem Jüngsten Gericht. Wir alle sind Sünder, vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Behüte, beschütze und beschirme die Männer, Frauen und Kinder dieser Stadt.»
    Die Mutter sah die Magd von der Seite an. «Hast du die Wäsche ins Haus gebracht?», unterbrach sie die Litanei.
    Die Frau zuckte zusammen. Sie sah mit erschrockenen Augen hoch und schüttelte den Kopf.
    Eva lächelte. Sie kannte ihre Mutter so gut, dass sie genau wusste, was diese gleich sagen würde. Ich bezahle dich nicht fürs Beten.
    «Dann hole sie. Aber eile dich. Gleich wird es sintflutartig gießen. Du bekommst deinen Lohn für deine Arbeit, nicht fürs Beten und Barmen.»
    Eva hätte am liebsten aufgelacht, doch sie beherrschte sich.
    «Aber … es heißt … der Teufel geht um, bevor ein Gewitter kommt», stammelte die Magd angstvoll.
    Gleich wird sie sagen: Dann kannst du ihn dir ja mit dem Kreuz um deinen Hals vom Leibe halten, dachte Eva.
    «Du kannst ihn ja mit deinem Rosenkranz abwehren», erwiderte die Mutter. Eva schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht zu kichern.
    Die Magd verzog das Gesicht, als wolle sie weinen, und trat von einem Fuß auf den anderen. «Der Teufel geht um. Ich weiß es. Die ganze Stadt spricht darüber. Ich habe Angst. Wegen ein paar Stück Wäsche setze ich meine Seele nicht aufs Spiel», beharrte die Magd.
    Plötzlich drang Lärm bis in die Stube hinauf. Das Geschrei kam von der Straße. «Eine Tote am Mainufer. Man hat eine Tote gefunden!»
    Eva eilte ans Fenster und öffnete es. Ein Junge lief durch die Gasse und verkündete aus Leibeskräften die Neuigkeit. Plötzlich war das drohende Gewitter vergessen.
    Die Mutter öffnete das Fenster: «Was ist los?», rief sie.
    «Ein totes Mädchen ist am Mainufer angeschwemmt worden. Nicht weit vom Hafen. Ein Gesicht ganz von Silber soll sie haben. Eine Wasserhexe vielleicht oder ein Kind der Sterne», antwortete der Junge und rannte weiter.
    Diese Nachricht goss Öl in die aufgeflackerte Neugierde. Aus allen Häusern strömten die Menschen. Niemand wollte sich das Spektakel entgehen lassen, welches größer zu werden versprach als ein heftiges Sommergewitter.
    «Ein silbernes Gesicht? Das glaube ich nicht. Ich möchte selbst sehen, was da los ist», sagte auch Eva.
    «Warte, ich komme mit.»
    Mutter und
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