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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1
Autoren: Marion Chesney
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daß sie viel besser aussahen als jedes
weibliche Wesen im Umkreis von Meilen. Sogar die kleine elfjährige Frederica!
    Der Pfarrer
beabsichtigte nicht, Lady Edwin mit einer allzu freimütigen Bemerkung zu
beleidigen. Josephine und Emily waren käsebleiche, langnasige, ständig
kichernde, unbedeutende Menschenkinder. Daraus folgte zwangsläufig, daß die
Augen des Squire schlechter geworden sein mußten.
    Lady Edwin
fühlte sich aber beleidigt und hätte etwas gesagt, wenn ihr Gatte ihr nicht
bedeutet hätte, zu schweigen.
    »Ich habe
fürchterlichen Durst«, sagte der Pfarrer.
    »Setz dich,
Charles«, forderte ihn Sir Edwin auf. Der Pfarrer setzte sich in einen
französischen Lehnstuhl, der unter seinem Gewicht ächzte. Der Baronet und seine
Frau nahmen ihm gegenüber Platz. Sir Edwin läutete die Glocke und bestellte
Champagner.
    »Wenn du
mich fragst ...«, sagte der Pfarrer erwartungsvoll, »ist von dem Wein mit den
gelben Verschlußkappen nichts mehr da?« Der Pfarrer verabscheute Champagner,
den er für ein Weibergetränk hielt.
    »Also gut«,
sagte Sir Edwin, wobei seine ohnehin schmalen Lippen eine noch schmalere Linie
bildeten. »Eine Flasche vom besten Burgunder, James! Nun, Charles ...«
    Charles
Armitage drehte und wand sich in seinem Sessel wie ein schuldbewußter
Schuljunge vor dem Direktor. »Ich komme gleich zum Wesentlichen«, sagte er und
zog ein großes buntes Taschentuch heraus, mit dem er sich die Stirn abwischte.
    »Die Sache
ist die. Die letzten Ernten sind furchtbar schlecht gewesen ...«
    »Ich weiß«,
unterbrach ihn der Baronet mit überlegenem Lächeln. »Aber mit Weizen erzielt
man immer noch hohe Preise. Du hättest mehr Weizen anbauen sollen. Das bißchen,
was du letztes Jahr geerntet hättest, hätte dir mehr eingebracht als diese
ganzen Felder mit schwedischen Rüben. Ich glaube, daß du auch mit Mais
herumexperimentierst. Das ist kein passendes Getreide für einen Engländer.«
    »Wie dem
auch sei«, entgegnete der Pfarrer, »ich sitze in der Patsche und brauche Geld.«
    »Dann mußt
du dich einschränken«, sagte der Baronet streng. »Ein Glas Wein, Bruder. Ich
bin sicher, er schmeckt dir. – Ja, einschränken, das ist die Antwort. Darf ich
dich darauf hinweisen, daß es deine Lage beträchtlich erleichtern würde, wenn
du deine Jagdpferde und Hunde verkaufen würdest ...?«
    »Nein, das
darfst du nicht«, grollte der Pfarrer. »Ich bin bereit, auf Luxus zu
verzichten. Aber was sein muß, muß sein. Ich habe mein ganzes Leben damit
verbracht, diese Hunde reinzuzüchten, und jetzt gelten sie als die tüchtigsten
Jagdhunde in England. Sie sind schnell, aber nicht grobknochig, sie sind sehr
zäh und eine sehr gute Mischung.«
    »Du bist
Pastor«, sagte Sir Edwin kalt. »Du solltest dein Augenmerk auf Höheres
richten.«
    Der Pfarrer
schaute ihn bestürzt an. Was konnte höher, was geistreicher sein als der Klang
eines »Hallo! Ho!«, als der Anblick der Hunde, wenn sie an einem feuchten Novembermorgen
eine Fährte verfolgten?
    Aber er
sagte: »Ich muß die Jungen in die Schule schicken, Edwin, und das kostet eine
Menge Geld.«
    »Ich kann
überhaupt kein Mitleid mit dir empfinden«, antwortete Sir Edwin streng.
    »Hm, kannst
du nicht, was?« murmelte der Pfarrer, während er sich ein zweites Glas
Burgunder eingoß und es in einem Zug leerte.
    »Nein, denn
du hättest Vorsorge für deine Familie treffen müssen. Kennst du Aesop?«
    »Wen?«
    »Aesop.
A-e-s-o-p«, buchstabierte der Baronet ärgerlich. »Ach so, irgendein
griechischer Bildhauer!«
    »Wirklich,
Bruder, du weißt nicht, wovon ich spreche. Ich möchte schwören, daß du in
Oxford nichts gelernt hast.«
    »Ich war
Schlagmann im Boot des Christchurch-College«, brauste der Pfarrer auf. Und
dann fügte er in milderem Ton, weil er immer noch hoffte, seinem Bruder etwas
Geld abringen zu können, hinzu: »Erzähl weiter von deinem Griechen.«
    »Aesop hat
eine Fabel von der Ameise und der Grille geschrieben«, sagte Sir Edwin. »Hol
mir das Buch da drüben, mein Lieber. Lausche und lerne, Charles! Lausche und
lerne!«
    Und er
machte sich daran, die Fabel von der Grille vorzulesen, die den ganzen Sommer
über getanzt und gesungen hatte und dann im Winter verhungerte, weil sie keine
Vorräte angelegt hatte, während die hart arbeitende Ameise den Winter
überlebte, weil sie vorgesorgt hatte.
    »Und die
Moral von der Geschichte«, schulmeisterte Sir Edwin: »›Spare in der Zeit, so
hast du in der Not.‹«
    Der Pfarrer
lauschte
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