Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1
Autoren: Marion Chesney
Vom Netzwerk:
behandeln pflegte. Auf der Suche nach Guys
Mütze stieß der gute Claud auf eine unerlaubte Übersetzungshilfe für den
Lateinunterricht.
    Offenbar
hatte Guy alle seine Lateinprüfungen bestanden, weil er mit Hilfe dieses
Buches schon die englische Übersetzung aller Texte kannte.
    »Ich finde
das ganz schön schlau von ihm, alles auswendig zu lernen«, platzte Perry los.
Die anderen murmelten zustimmend.
    »Was sollte
Claud jetzt tun?« fragte Minerva, die klug genug war, die Unterbrechung zu
ignorieren.
    Sie
schauten sie alle verblüfft an, weil ihnen nie der Gedanke gekommen wäre, daß
Claud etwas tun sollte.
    Minerva
schüttelte mit gespielter Abscheu den Kopf und las weiter. Claud, so stellte
sich heraus, hatte seine Pflicht getan, indem er das Buch mit den
Übersetzungshilfen sofort dem Direktor brachte und diesem berichtete, daß Guy
ein Betrüger war.
    Guy wurde
von der Schule verwiesen, ein unzuverlässiger Mensch, der allen Glanz
eingebüßt hatte, während Claud den ereignislosen Weg zu bescheidenem Ruhm beschritt.
    »Und die
Moral der Geschichte ist«, sagte Minerva, indem sie das Buch zuklappte,
»ehrlich währt am längsten.«
    James,
schwarzhaarig und blauäugig wie sein Zwillingsbruder, starrte Minerva an, als
ob er seinen Ohren nicht trauen könnte.
    »Du schaust
ja ganz entsetzt, James«, lächelte Minerva. »Was hättest du denn getan?«
    »Ich hätte
diesen fiesen Claud so verprügelt, daß er das nächste Mal die Schnauze hält.«
    »Ich
wünsche in diesem Hause keine solchen Ausdrücke«, sagte Minerva streng.
    Aber ein
Chor junger Stimmen verteidigte James. »Claud ist eine Petze.«
    »Guy war
große Klasse ...«
    »Ich hoffe,
daß Guy Soldat geworden ist und dann General und ... und ... Napoleon
besiegt.«
    »Ins Bett
mit euch«, sagte Minerva, ohne einen Widerspruch zu dulden. »Wie kann ich mit
gutem Gewissen nach London gehen, wenn ich weiß, daß ihr moralisch nicht
gefestigt seid?« Sie scheuchte die Mädchen aus dem Jungenzimmer, aber hörte
vorher noch Perry flüstern: »Wahrscheinlich heiratet sie so einen langweiligen
Kerl wie Claud – wenn sie überhaupt heiratet.«
    Minerva
kniff die Lippen zusammen und ließ sich nicht anmerken, daß sie die Bemerkung
gehört hatte.
    Als sie die
kleineren Mädchen ins Bett gebracht hatte, ging sie zu Annabelle, mit der sie
das Zimmer teilte.
    Annabelle
saß am Toilettentisch und bürstete versonnen ihre langen, goldenen Haare.
    Als ihre
Schwester eintrat, hielt sie inne und versuchte den beherrschten
Gesichtsausdruck ihrer älteren Schwester zu deuten.
    »Es ist so
sinnlos«, seufzte Annabelle und bürstete ihre Haare weiter.
    »Was ist
sinnlos?« kam Minervas Stimme hinter einem chinesischen Wandschirm hervor. Sich
vor ihrer Schwester auszuziehen, wäre ihr ebensowenig eingefallen, wie in der
Kirche auszuspucken.
    »Daß du
nach London gehst«, erklärte Annabelle. »Ich weiß nicht, ob du überhaupt je an
Männer denkst?«
    »Wie meinst
du das?« kam Minervas gedämpfte Stimme.
    »Ich meine
das so, daß man etwas in ihrer Gegenwart fühlt«, sagte Annabelle, legte ihre
Bürste hin und drehte sich schwungvoll um.
    »Du wirst
doch nicht etwa solche Gefühle haben?« kam Minervas Stimme so amüsiert hinter
dem Wandschirm hervor, daß Annabelle wütend wurde. »Du bist viel zu jung.«
    »Ich bin
sechzehn«, protestierte Annabelle. »Und ich kann dir sagen, daß ich kaum an
etwas anderes denke.«
    »Dann
solltest du aber an dir arbeiten, damit du einmal eine gute und anständige
Ehefrau abgibst.«
    »Ich will
aber nicht einen Mann heiraten, der Wert auf ›eine gute und anständige
Ehefrau‹ legt«, sagte Annabelle trotzig. »Ich will einen richtigen Mann, der
sein Leben genießt und gut aussieht, einen Dandy. Es ist ein Wunder, daß du
nicht für den armen Mr. Pettifor schwärmst!« Mr. Pettifor war der Kooperator.
    »Es ist in
der Tat ein Wunder«, sagte Minerva und kam in ihrem Nachthemd hinter dem
Wandschirm hervor. »Er ist ein anständiger junger Mann, der in der
Gemeindearbeit aufgeht.«
    »Er hat
auch eine lange rote Nase und feuchte Lippen und ...«
    »Hör sofort
auf«, sagte Minerva. »Was ist denn in dich gefahren, Annabelle? Du hast doch
früher nicht so geredet!«
    »London«,
sagte Annabelle versunken. »Die Spaziergänge, die Ausritte, die Feste, die
Bälle, die Oper. Almack! Ich wäre begeistert davon! Ich hätte so gern ein paar
Freier! Es ist so langweilig hier. Nichts geschieht hier, und es wird auch nie
etwas geschehen. Weil du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher