Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1
Autoren: Marion Chesney
Vom Netzwerk:
Essen
einzuladen.
    Eigentlich
sollte er ja erst daheim vorbeischauen und Bescheid sagen. Aber Mrs. Armitage
wußte von seinem Bittgang, und wenn sie erfahren würde, daß er erfolglos
gewesen war, würde sie unverzüglich einen Krampf bekommen.
    »Es ist
genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe«, zitierte Hochwürden Charles
Armitage. Er bestieg sein Pferd und ritt auf Squire Radfords malerisches Haus
zu, dessen strohgedecktes Dach in den Bäumen jenseits des Dorfweihers zu sehen
war.
    Der nächste Tag war ein Sonntag, und
der Pfarrer litt an den Folgen des vorhergehenden Abends, an dem er zu lange
und zu tief ins Glas geschaut hatte.
    Charles
Armitage stand auf der Kanzel, hielt sich an den Flügeln des Messingadlers fest
und nahm alle Kraft zusammen, um die Predigt, die ihm Minerva geschrieben
hatte, vorzutragen. Er spürte ein dumpfes Pochen hinter den Schläfen.
    Seine
Tochter hatte der Predigt einen Text aus den Sprüchen Salomos zugrunde gelegt,
der ihrem Vater auf eine ganz boshafte Weise passend erschien.
    »Siehe den
Wein nicht an, daß er so rot ist und im Glase so schön steht. Er geht glatt
ein; aber danach beißt er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter.«
    Der Pfarrer
warf einen vorwurfsvollen Blick in Minervas Richtung,
die am Rand der Kirchenbank der Familie Armitage saß.
    Minerva!
    In diesem
Augenblick schien ein Sonnenstrahl durch die Kirchenfenster und erleuchtete
Minervas entzückendes Gesicht mit den großen grauen Augen, dem weichen,
rosigen Mund, der geraden kleinen Nase, den schmalen geschwungenen Brauen und
den langen, langen Wimpern.
    Auf dem
Kopf trug sie einen hübschen Hut aus Bändern und Blumen.
    Zum ersten
Mal sah der Pfarrer sie so, wie viele Männer sie sehen würden.
    Er hatte
die Lösung! Minerva!
    Das
enganliegende Kaschmirkleid unter dem feschen kurzen Spenzer enthüllte einen
üppigen Busen und eine schmale Taille. Daß ihre Fesseln ebenfalls ganz
wunderschön waren, fiel dem Pfarrer mit gebührendem Respekt ein.
    Hochwürden
Charles Armitage hatte in diesem Moment eine himmlische Vision. Seine Tochter
könnte ein Vermögen erheiraten! Sein eigenes Leben breitete sich nun vor ihm
aus als ein Paradies von nie endenden regnerischen Novembertagen, an denen die
Fährte frisch war und die Hunde und Pferde flink.
    »Hussa,
hallo! Hussa, hallo! Hussa, hallo!« feuerte der Pfarrer von St. Charles und St.
Jude den teilnahmslosen Gipsengel an der Decke an.
    »Tollhaus«,
zischte Lady Edwin ihrem Gatten zu. »Eindeutig Tollhaus. Ich sehe keine andere
Zukunft für ihn.«
    Der
überarbeitete Kooperator des Pfarrers, Mr. Pettifor, löste ihn ab, so wie er es
schon an so vielen Sonntagen vorher gemacht hatte.
    Die
Landadligen entrüsteten sich voller Abscheu. Aber die einfacheren Landleute
waren gerührt. Sie dachten, der Pfarrer habe wirklich eine göttliche
Offenbarung gehabt – so verklärt war sein Gesicht gewesen.

Zweites
Kapitel
    Es ist eine traurige Tatsache, daß
viele Mädchen in die Rolle eines Aschenputtels schlüpfen, obwohl sie nicht dazu
geboren sind, und das galt auch für Minerva Armitage. Hätte sie die Zügel des
Haushalts schleifen lassen, wäre ihre Mama wahrscheinlich gezwungen gewesen,
sich von ihrem Sofa zu erheben und sich selbst um den Haushalt zu kümmern.
Hätte sie sich nicht bereit erklärt, die Predigten ihres Papas zu schreiben,
dann hätte dieser sich vielleicht mehr mit seiner Bibel und weniger mit William
Taplins ›Sportlexikon und Fundgrube für den Landmann‹ beschäftigt.
    Minerva war
zwar sehr intelligent, aber ihre Erziehung und Ausbildung ließen zu wünschen
übrig. Sie war fleißig und tatkräftig, und daher unbefriedigt von der
langweiligen ländlichen Routine einer Dame ihres Standes – und um diese
Langeweile zu bekämpfen, widmete sie sich mit zunehmendem Alter immer mehr
ihren fünf Schwestern und zwei Brüdern.
    Sie war
diejenige, die ihre brennende Stirn kühlte, wenn sie Fieber hatten; sie war es,
die ihre Schnitt- und Schürfwunden verband; und sie war es auch, die die
Pfarrkinder besuchte und den Haushalt führte. Jeder Monat eines jeden Jahres
brachte ihr neue, selbst auferlegte Pflichten; so wurde sie nicht nur immer
schöner, sondern auch immer geduldiger und langmütiger. Freilich war die
schöne Minerva auch ein bißchen eingebildet und selbstgefällig.
    Die
Ankündigung ihres Vaters beim sonntäglichen Dinner, daß Minerva in London in
die Gesellschaft eingeführt werden sollte, wurde zunächst mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher