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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Erster Band
Vorrede
    Diese Sammlung von Betrachtungen und Beobachtungen, ohne Ordnung und fast ohne strenge Reihenfolge, wurde einer guten denkenden Mutter [1] zu Liebe begonnen. Anfänglich hatte ich nur eine Abhandlung von wenigen Seiten beabsichtigt; da mich mein Gegenstand jedoch wider Willen fortriß, so schwoll diese Abhandlung allmählich zu einem förmlichen Werke an, das unzweifelhaft zu umfangreich ist, wenn man sein Augenmerk nur auf den Inhalt richtet, aber im Hinblick auf den Stoff, den es behandelt, trotzdem nicht ausführlich genug. Ich habe lange geschwankt es zu veröffentlichen, und bei der Ausarbeitung hat mich oft das Gefühl überschlichen, daß die Abfassung einiger Broschüren noch keine hinreichende Bürgschaft für den Beruf darbietet, ein Buch zu schreiben. Nach vergeblichen Bemühungen etwas Besseres zu leisten, glaube ich es so, wie es ist, vorlegen zu müssen, überzeugt, daß es von Wichtigkeit ist, die öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand zu lenken, und daß, sollten sich auch meine Gedanken als falsch herausstellen, ich doch meine Zeit nichtvöllig verloren habe, wenn auf meine Veranlassung hin bei Anderen richtige rege werden. Ein Mann, welcher seine Blätter aus seiner Zurückgezogenheit unter das Publikum streut, ohne empfehlende Reclame, ohne Partei, welche ihre Verteidigung übernimmt, ja selbst ohne zu wissen, was man darüber denkt oder spricht, braucht nicht zu fürchten, daß man, wenn er sich irrt, seine Irrthümer ohne strenge Prüfung für wahr anerkennen werde.
    Ueber die Wichtigkeit einer guten Erziehung werde ich wenig Worte verlieren, auch werde ich mich nicht bei dem Beweise aushalten, daß die jetzt übliche nur einen schädlichen Einfluß ausübt. Tausend Andere haben es vor mir gethan, und es ist nicht nach meinem Geschmacke, ein Buch mit allbekannten Dingen anzufüllen. Ich werde lediglich darauf hinweisen, daß sich gegen die eingeführte Praxis längst ein allgemeiner Schrei erhoben hat, ohne daß Jemand sich dem unterzieht, mit Reformvorschlägen hervorzutreten. Die Literatur und Wissenschaft unsres Jahrhunderts läuft weit mehr darauf hinaus zu zerstören als aufzubauen. Man kritisirt mit dem absprechenden Tone eines Meisters; um Vorschläge zu machen, muß man jedoch einen andern anschlagen, an welchem die philosophische Erhabenheit weniger Gefallen findet. Trotz so vieler Schriften, welche alle vorgeblich den allgemeinen Nutzen bezwecken, ist doch gerade die Kunst, welche den größten Nutzen gewährt, die Kunst Menschen zu bilden, noch immer vergessen. Mein Thema war trotz Lockes Buch völlig neu und ich befürchte sehr, daß dasselbe es auch noch nach dem meinigen bleiben wird.
    Man kennt und versteht die Kinderwelt durchaus nicht; je weiter man die falschen Ideen, welche man von derselbenhegt, verfolgt, desto weiter verirrt man sich. Die Weisesten behandeln mit Vorliebe das den Menschen Wissenswürdigste, ohne dabei auf die Lern- und Begriffsfähigkeit der Kinder Rücksicht zu nehmen. Sie suchen stets schon den Mann im Kinde, ohne an den kindlichen Zustand zu denken, aus dem der Mann sich erst allmählich entwickelt. Und gerade das Studium dieses Zustandes habe ich mir am angelegensten sein lassen, damit, wenn auch meine ganze Methode wunderlich und falsch sein sollte, man doch immer aus meinen Beobachtungen Nutzen schöpfen könnte. Ich kann vielleicht über das, was zu thun ist, unklare Vorstellungen haben, allein den Körper, an dem zu operiren ist, glaube ich gut gesehen und beobachtet zu haben. Fangt also an eure Zöglinge besser zu studiren, denn ganz sicher kennt ihr sie noch gar nicht. Wolan denn, leset ihr dies Buch von diesem Gesichtspunkte aus, so wird, wie ich glaube, die Lectüre für euch nicht ohne Nutzen sein.
    Was nun den Theil anlangt, den man den systematischen nennen wird und der hier nichts Anderes als den Gang der Natur schildert, so wird gerade dieser das Kopfschütteln des Lesers am meisten hervorrufen. Von hier aus wird man auch unzweifelhaft die Angriffe auf mich richten, und vielleicht hat man nicht Unrecht. Man wird weniger eine Abhandlung über Erziehung als die Träumereien eines Phantasten über Erziehung zu lesen glauben. Was ist dabei zu thun? Ich schreibe ja nicht über die Ideen Andrer, sondern über die meinigen. In meinen Augen erscheint Alles anders als in denen anderer Leute; schon längst hat man mir das vorgeworfen. Aber hängt es etwa von mir ab, mir andere Augen zu geben und mir andere Ideen
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