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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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wäre. In seiner Eigenschaft als Fremder weigerte er sich seinenSitz im römischen Senate einzunehmen; ein Karthager mußte es ihm erst befehlen. Er wurde unwillig darüber, daß man ihm das Leben retten wollte. Seine Ansicht drang durch, und jubelnd kehrte er zurück, um einen qualvollen Tod zu sterben. Das scheint mir freilich den Menschen, die wir kennen, nicht sehr ähnlich zu sehen.
    Der Lacedämonier Phedaretes bewirbt sich um Aufnahme in den Rath der Dreihundert; er wird verworfen; voller Freude, daß es in Sparta dreihundert bessere Männer als ihn gibt, geht er wieder nach Hause. [7]
    Ich nehme diese Aeußerung für wahr an, und es ist alle Ursache vorhanden, sie dafür zu halten. Fürwahr, ein echter Bürger!
    Eine Spartanerin hatte fünf Söhne bei dem Heere, und harrte auf Nachrichten über die Schlacht. Ein Helote langt an; zitternd fragt sie ihn darnach. »Deine fünf Söhne sind gefallen.« »Verächtlicher Sklave, habe ich dich danach gefragt?« »Wir haben den Sieg erfochten!« Die Mutter läuft zum Tempel und danket den Göttern. [8] ]
    Fürwahr, eine echte Bürgerin!
    Wer in der bürgerlichen Ordnung den Naturgefühlen den Vorrang einräumen will, der weiß nicht, was er will. Stets im Widerspruch mit sich selbst, stets zwischen seinen Trieben und Pflichten hin und her schwankend, wird er nie ein echter Mensch noch ein echter Bürger sein. Er wird weder sich noch Andern zum Vortheil gereichen. Er wird einer dieser Dutzendmenschen unserer Tage, ein Franzose, ein Engländer, ein Spießbürger, er wird nichts sein.
    Um etwas zu sein, um stets sich selbst treu und in sich eins zu sein, muß man handeln wie man spricht, muß man stets über die Partei, die man zu ergreifen, laut zu ergreifen hat, entschieden sein und beständig zu ihr halten. Ich erwarte, daß man mir ein solches Wunderkind zeige, um zu erfahren ob es ein Mensch oder ein Staatsbürger ist, oder wie dasselbe es anfängt, um Beides zugleich zu sein.
    Aus diesen einander nothwendig entgegengesetzten Zielen ergeben sich zwei sich widersprechende Erziehungsweisen:eine öffentliche oder staatliche und gemeinsame und eine besondere und häusliche.
    Wollt ihr euch eine Vorstellung von der öffentlichen Erziehung machen, so leset die Republik Plato’s. Es ist kein politisches Werk, wie die sich einbilden, welche die Bücher nur nach den Titeln beurtheilen: es ist vielmehr die beste Abhandlung über Erziehung, die je geschrieben ist.
    Wenn man auf ein Utopienland aller möglichen Träumereien hinweisen will, so führt man regelmäßig Plato’s Erziehung an. Hätte aber Lykurg die seinige nur zu Papier gebracht, so würde sie mir noch wunderlicher vorkommen. Plato hat nur das Herz des Menschen geläutert. Lykurg hat ihn seiner Natur beraubt.
    Die öffentliche Erziehung existirt nicht mehr und kann nicht mehr existiren, weil da, wo es kein Vaterland mehr gibt, es auch keine Bürger mehr geben kann. Diese beiden Wörter »Vaterland« und »Bürger« müssen aus den modernen Sprachen gestrichen werden. Den Grund kenne ich sehr wohl, will ihn aber nicht aussprechen, es ist für mein Thema von keiner Bedeutung.
    Diese lächerlichen Anstalten, welche man Collegien [9] nennt, kann ich nicht als öffentliche Erziehungsanstalten anerkennen. Eben so wenig rechne ich die Erziehung der Welt zu der öffentlichen, weil diese Erziehung dadurch, daß sie nach zwei entgegengesetzten Zielen strebt, beide verfehlt. Sie ist nur im Stande Zwitterwesen zu bilden, die Alles beständig auf Andere zu beziehen scheinen und doch nur Alles auf sich allein beziehen. Nun aber täuschen diese Gaukeleien, weil sie ein Gemeingut Aller sind, Niemanden. Es ist lauter verlorene Mühe.
    Aus diesen Widersprüchen entsteht leider auch der, welchenwir unaufhörlich in uns selbst empfinden. Fortgerissen von der Natur und von den Menschen nach entgegengesetzten Richtungen, gezwungen uns zwischen diesen verschiedenen Antrieben zu theilen, schlagen wir einen Mittelweg ein, der weder zu dem einen noch zu dem anderen Ziele führt. Auf diese Weise während unseres ganzen Lebens in ununterbrochenem Kampfe mit uns selbst und hin und her schwankend, beschließen wir es, ohne es zu einer innern Harmonie gebracht und uns oder Anderen zum Nutzen gereicht zu haben.
    Es bleibt nur noch die häusliche Erziehung oder die der Natur übrig. Aber was soll ein Mensch, der einzig und allein für sich erzogen ist, den andern werden? Wenn sich vielleicht das doppelte Ziel, welches man sich vorsetzt, in ein
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